PLATTENBAU

  • Jacob Rösler
  • Lesedauer: 4 Min.

Morrissey, Vorname Steven Patrick, Musik- und Stilikone und inzwischen auch schon fast unwirkliche 50, erweist einmal mehr die Gnade, von seinem Thron zu uns herabzusteigen, um uns zu umsäuseln und zu erleuchten und zu betören. Und dies bereits zum neunten Mal seit seine Ehe mit den Smiths, wohl nicht zuletzt auf seine eigene Veranlassung, 1987 geschieden wurde. Nun denn, möge die Erleuchtung beginnen.

»Years of Refusal« heißt die aktuelle Andacht, und schon das Coverfoto offenbart, dass es sich um den echten, den einzigen Morrissey handeln muss. Der Mozzfather posiert mit halb geöffnetem Hemd und nur halb beleuchtet – und mit einem Baby auf dem rechten Arm. Was man schon immer an ihm mochte oder auch nicht, es wird bereits im Ansatz erfüllt. Der Meister der Zweideutigkeit verwirrt gern, seine Aussagen zu Sexualität, Rassismus oder Politik haben in der Vergangenheit nicht nur einmal Stürme der Entrüstung entfacht. Zweideutigkeit ist eben nicht die bedenkliche Fettnäpfchendummheit der Hermanns, Heesters und Pflügers dieser Welt, sondern vor allem ein entzückendes Spielchen – wenn man es denn beherrscht.

Ob er sich nun selbst so bierernst nimmt wie einige vermuten, oder sich an seinen Fährten und Widersprüchen erfreut, tut wenig zur Sache. Es zieht durch das komplette Oeuvre Morrisseys, sowohl durch brillante als auch nur gute Zeiten, man weiß nie genau, woran man ist, und das kann man lieben. Nur eines bleibt bestehen: Die Musik ist eigentlich immer schön und am schönsten ist das Geträllere, das die vielen Lebensweisheiten in die Ohren schmuggelt. Zwar zollt auch ein gefeiertes und selbst ernanntes Idol wie Morrissey irgendwann dem Alter etwas Tribut, und wenn er denn filigranen Melodien stimmlich umspielt, erahnt man fortschreitenden Verfall. Jedoch bleibt es beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit die schier nicht nachsingbaren Linien seit einem Vierteljahrhundert vorgetragen werden. Es wirkt wie Hohn, dass Morrissey in der jüngst im Rolling Stone veröffentlichten Liste der 100 besten SängerInnen 92. wurde – 85 Plätze hinter Bob Dylan. Daran ändert auch der verdiente 1. Platz von Aretha Franklin nichts. Am 12.06. in der Columbiahalle kann man sich auch live von Morrisseys Gesangsqualitäten überzeugen.

Egal was er singt, und hanebüchene Interpretationen jedes Liedtextes gibt es zuhauf, man kann ja den Text überhören und an etwas Schönes denken, wenn man keine Lust hat, sich mit dem vermeintlich augenzwinkernden Elend eines Mannes in den besten Jahren zu beschäftigen. »I'm throwing my arms around all of paris because only stone and steel accept my love« – das stimmt ja so nun auch nicht.

Jerry Finn, der bereits Produzent von Morrisseys »You are the quarry« (2004) war, zeichnete sich auch diesmal für die Produktion verantwortlich. Dass »Years of refusal« bei aller Abwechslung ziemlich in Richtung Rock'n'Roll geht, liegt wohl an Finns Vorgeschichte als erfolgreicher Punkproduzent. In jedem Fall ist das musikalisch wohl abwechslungsreichste Morrisseyalbum dabei herausgekommen. Jerry Finn indes raffte die Arbeit an der Platte dahin, er starb wenige Tage nach dessen Fertigstellung im Alter von 39 Jahren an den Folgen einer Gehirnblutung. Wäre es nicht zynisch, könnte man behaupten, dieses Drama passe zum theatralischen Morrissey, alles findet mit Pauken und Trompeten statt und ist immer existenziell.

Erstaunlich bleibt, wie viel musikalische Leichtigkeit und Finesse die Morrissey’schen Weisheiten mit sich bringen. Auch die schwächeren Stücke der schwächeren Alben, und dazu gehört »Years of refusal« beileibe nicht, hatten immer einen gewissen Zauber. Wenn es nicht zum Ende hin deutlich abfiele, könnte man des Meisters Meinung teilen, der es für sein bisher stärkstes hält. So ist es das zu Erwartende, ein gutes Stück Musik vielleicht mit Potenzial für ein paar neue Morrisseylieblingssongs und spätabendliche Diskussionen, worum es bei den einzelnen Songs auf Years of Refusal eigentlich ging. Wer zu starr nach dem Sinn sucht, wird die Schönheit der Musik aber nicht genießen können, darum sei davon abgeraten.

Morrissey: »Years of Refusal« (Universal)

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