nd-aktuell.de / 28.02.2009 / Kultur / Seite 14

Vom Saulus zum Paulus

Berlin: Mendelssohn-Oratorium in der Philharmonie

Liesel Markowski

Es ist ein begrüßenswerter Impuls des Jubiläumsjahrs, immer noch weitgehend Unbekanntes aus Felix Mendelssohn Bartholdys Schaffen neu vorzustellen und unser Bild dieses bedeutenden Komponisten zu erweitern.

So wurde eines der gewichtigen großen Werke Mendelssohns in der Berliner Philharmonie zur erstaunlichen Entdeckung: Sein Oratorium »Paulus« öffnet den Blick für die übergreifende Dimension kompositorischen Anspruchs. Mendelssohn ist uns immer noch vorwiegend durch sogenannte »Renner« wie die Sommernachtstraummusik oder die »Italienische Sinfonie« präsent. »Paulus« (1836) galt zu seinen Lebzeiten als sein berühmtestes Werk, aufgeführt in ganz Europa. Es aus gegenwärtigem Schattendasein erlöst zu haben, ist der ungekürzten Jubiläumsaufführung verdienstvoll anzurechnen. Denn unter Leitung von Marek Janowski war mit den Berliner Rundfunkensembles (Chor und Orchester) eine perfekte Wiedergabe zu erleben.

Das Oratorium »Paulus« offenbart die tiefe Verbundenheit Mendelssohns mit den großen musikalischen Traditionen, vor allem Bach und Händel. Nicht nur der aktive Bezug zu den Altvorderen, durch Wiederaufführung der Bachschen »Matthäuspassion«, sondern ebenso durch seine humane Weltsicht (inspiriert von Großvater Moses). Felix Mendelssohn wollte mit Hilfe der Musik das Leben der Menschen verbessern. Durch dieses Oratorium (auf von ihm selbst montierte Bibeltexte) zieht ein beschwörendes Engagement der Güte und Menschlichkeit in religiösem Gewand.

Man spürt die Gegenwart Johann Sebastian Bachs unter der souveränen Eigenart Mendelssohns. Da sind die Choräle, da gibt es einen Erzähler (In verschiedenen Solostimmen), da sind Rezitative und Arien. Es dominieren Chöre von schlicht-herbem Volksgesang bis zur verflochtenen Fuge.

Erzählt wird die Geschichte von einer Gestalt des frühen Christentums, dem Paulus, der unter seinem jüdischen Namen Saulus als religiöser Eiferer für die mosaischen Gesetze Christen verfolgt und der auf wundersame Weise bekehrt wird: vom Saulus zum Paulus. Die Erzählung hat im ersten Teil dramatische Momente (Steinigung des Christen Stephanus), zeigt im zweiten die missionarische Tätigkeit des Apostels. Mendelssohns jüdische Herkunft (als Kind christlich getauft) hat sicher eine Rolle gespielt. Es geht ihm um Überwindung enger Glaubensgesetze für einen allgemein verbindlichen Glauben der Menschlichkeit.

Musikalisch wurde das Erzählte auf feinst differenzierte Weise gestaltet: wundervolle orchestrale Klangkultur, Rezitative in variierter Gestik. Vor allem aber fesselten die Chöre mit dramatischem Akzent im ersten, kraftvoller Fülle im zweiten Teil. Hier leistete der Berliner Rundfunkchor Überragendes (Einstudierung: Johannes Prinz) an Intonationsfeinheit, Klangopulenz und Ausstrahlung. Höhepunkte wie »Mache dich auf», der zarte Frauengesang zur Stimme Gottes oder die bravouröse Schlussapotheose werden unvergesslich sein. Das Solistenquartett mit Lisa Milne (Sopran, leider scharfe Höhe), Anke Vondung (Alt), Christoph Genz (Tenor), Detlef Roth (Bass) fügte sich gut ein. Insgesamt bestach die Interpretation unter Janowskis genauem Dirigat durch Geschlossenheit und Klangzauber.

Dennoch ist die Rezeption des Werkes kompliziert. Mendelssohns »Paulus« verlangt von heutigen Hörern große Geduld: mehr als zwei Stunden Schönheit und Wohlklang sind nicht leicht zu verarbeiten.