nd-aktuell.de / 28.02.2009 / Sport / Seite 3

Winter in Vancouver

Die kanadische Stadt bereitet sich auf die Olympischen Spiele 2010 vor

Hajo Obuchoff, Vancouver
Ein knappes Jahr noch zeigt die Olympiauhr im Zentrum von Vancouver an, bis am 12. Februar 2010 die Olympischen Winterspiele eröffnet werden. Lange lag die Olympiastadt gut im Plan. Doch nun hat die Weltwirtschaftskrise auch die Stadt in der Provinz British Columbia an Kanadas Westküste erreicht.

Billy ist optimistisch: »Ich freue mich schon auf die Kunden aus aller Welt.« Er steht an der Kasse seines kleinen Alkoholladens am Rande des Highway 99 in Squamish, einem Flecken nordwestlich von Vancouver. Hier, auf halbem Weg nach Whistler, hofft Billy auf Olympiatouristen, die sich bei ihm mit einigen Sechserpacks Glet-scherbier oder ein paar Würsten versorgen wollen. Immerhin – kein Weg führt vorbei an Billys Laden, wenn man von Vancouver in den Olympiapark will, dem Austragungsort für die nordischen Ski-, Rodel-, Bob-, und Biathlonwettbewerbe. Die ersten Gäste kommen schon jetzt in den Ort.

Auch Langlauf-Bundestrainer Jochen Behle hatte mit seinen Läufern im Januar Unterkunft in Squamish gefunden. Skispringer, Kombinierer, Bobfahrer, Biathleten und Langläufer, die bei ihren Weltcups die Anlagen testeten, brachten schon mal einen Hauch Olympiaatmosphäre an Kanadas Westküste. Mehr allerdings auch nicht. »Hier ist definitiv noch viel zu tun. Bis auf die Wettkampfstätten ist von Olympia überhaupt nichts zu spüren«, meinte Behle. Es seien viele kleine Dinge, die nerven: Autos ohne Winterreifen oder die Verpflegung in den Hotels, die man selbst organisieren müsse. Dafür stimmen die Schneeverhältnisse: »Die Loipe ist fantastisch«, schwärmte Behle.

Nahe der Langlaufstrecke, am Fuß der Sprungschanzen, steht ein steinerner Inukshuk. Seit Jahrhunderten werden sie von den First Nations, wie die kanadischen Indianer genannt werden, als Symbol der Freundschaft und Hoffnung aufgestapelt. Die riesige Figur im Olympiapark ist auch das Symbol der Spiele in Vancouver.

Werner Schuster, Nationaltrainer der deutschen Skispringer, achtet natürlich mehr auf die Schanzenanlage, und die findet er Klasse. Überhaupt sind alle begeistert von den Sportstätten, die bereits lange vor Olympia fertig sind. Auch die Freestyle- und Skicross-Pisten am Cypress Mountain und die Eisschnelllauf-Halle haben ihre ersten Wettkampftests hinter sich. Und das BC Place Stadium, die an ein riesiges UFO erinnernde Halle, in der 60 000 Zuschauer die Eröffnungs- und Schlussfeier erleben werden, ist seit Jahren Heim des American-Football-Teams von British Columbia.

Kritiker befürchten einen Schuldenberg

Das Olympische Dorf indes macht der Stadt den größten Kummer. Aufgrund der Finanzkrise stellte der Investor im Herbst 2008 seine Zahlungen an die Entwicklungsgesellschaft ein, die die Unterkünfte errichtet. Daraufhin musste die Stadt die offenen Baurechnungen übernehmen. Gleichzeitig sind die Kosten für das Olympiadorf um knapp 100 Millionen auf fast 540 Millionen Euro gewachsen. Das Finanzierungsproblem scheint jedoch gelöst: Vancouver bekommt einen Kredit über 485 Millionen Euro – vom Steuerzahler. Und der wird wohl noch lange zur Kasse gebeten. Kritiker befürchten, dass wie nach den Spielen von Montreal 1976 jahrzehntelang Schulden abgebaut werden müssen.

Derzeit sucht das Organisationskomitee der Spiele (VANOC) noch Großsponsoren, um ein Finanzloch von etwa 19 Millionen Euro zu stopfen, und es sucht weiter nach Einsparungspotenzial. Die in Whistler geplanten abendlichen Medaillenzeremonien wurden bereits gestrichen, der Marketing- und Kommunikationsetat soll um 3,1 Millionen Euro, der Techniksektor um 4,1 Millionen Euro gekürzt werden.

Und obwohl das Athletendorf in Whistler, der »Sea-to-Sky-Highway«, der von Vancouver in die Berge führt, und die Hochbahn vom Flughafen nach Downtown noch im Bau sind, meint VANOC-Boss John Furlong trotzig: »Wir werden die Spiele mit einem ausgeglichenen Budget beenden.«

Der Ansturm auf die Tickets sei einzigartig, betont Furlong. Dabei sind die Preise gepfeffert: Für die Eröffnungsfeier werden 750 und für Karten der Abschlusszeremonie 530 Euro verlangt. Für die besten Sitzplätze beim Eiskunstlaufen muss man 300, für die teuersten Karten beim alpinen Abfahrtslauf 100 Euro berappen. Die Veranstalter versprechen jedoch, dass die Hälfte der Tickets nicht mehr als 67 Euro kosten werde. Schwere Zeiten für Sportfans mit schmalem Budget, zumal in der Olympiastadt schon jetzt die Lebensmittel- und Hotelpreise steigen.

Wasser wie aus einem Bergquell

Ein Bett unter 100 Euro ist schwer zu finden, aber nicht unmöglich. Zum Beispiel im St. Clair Hotel: Hier kostet eine Nacht gerade mal 49 Dollar. In der 1911 gebauten Herberge sitzt Hans Becker an der Rezeption. Der junge dunkelhaarige Mann ist der Sohn einer Berlinerin, die nach dem Krieg nach Quebec auswanderte. »Aber Vancouver ist schöner«, meinte Becker. »Die Sommer hier sind herrlich, in den Tälern wächst der Wein, und das Wasser aus der Leitung schmeckt wie aus einer Bergquelle.«

Die Winter sind nicht ganz so idyllisch. Zu Weihnachten gab es ein Schneechaos, dann regnete es. Und wenn es regnet in Vancouver, dann hilft kein Schirm. Der Wind jagt den Regen kreuz und quer durch die Straßen. Anfang Januar spülte das Wasser sogar Straßen und Eisenbahnlinien weg. Im Vorfeld der Spiele gibt es immer wieder Störungen: Im Dezember verletzten sich fünf Touristen bei einem Gondelabsturz in Whistler. Im vergangenen Sommer versperrte eine Steinlawine den Highway 99.

Das 600 Millionen Dollar teure Straßenprojekt hatte sowohl Umweltschützer als auch die First Nations irritiert. Immerhin wurden mehr als zwei Millionen Kubikmeter Fels aus den Bergen gesprengt und 260 000 Tonnen Asphalt in die Landschaft gewalzt. Andererseits hat man von Beginn an versucht, einen Konsens zwischen Organisatoren und den hier ansässigen Stämmen – Squamish, Lil’wat, Musqueam, Tsleil-Waututh – zu finden. In Whistler lädt das »Squa-mish-Lil’wat-Kulturzentrum« die Gäste der Spiele ein. »Wir wollen zeigen, dass es hier lange vor den Weißen schon Bewohner mit einer eigenen Kultur gab«, sagt Squamish-Häuptling Bill Williams.

David Dennis, Präsident der United Native Nations (UNN) von British Columbia, aber will gewaltfreie Protestaktionen während Olympia nicht ausschließen. Man will Druck auf die Regierungen British Columbias und Kanadas ausüben, um auf die Landrechtefrage sowie das Problem der Armut unter den Ureinwohnern aufmerksam zu machen. Ein Problem nicht nur der Ureinwohner. Vancouver zählt zu den Städten mit den meisten Obdachlosen Kanadas. Unter der Losung »Armutsolympia« zog in diesem Jahr ein Karnevalszug durch die Eastside von Downtown, um gegen steigende Armut und Obdachlosigkeit zu protestieren.

Die Meeresnähe schafft unberechenbares Wetter

Der Weg von Vancouver nach Whistler ist atemberaubend: Entlang der Pazifikküste geht es etwa 60 Kilometer bis nach Squamish, die letzten 40 Kilometer schlängelt sich der »Sea-to-Sky-Highway« durch die Berge. Vom Meer in den Himmel, das ist etwas übertrieben. Whistler selbst liegt gerade mal 650 Meter über dem Pazifik. Die Meeresnähe schafft unberechenbares Wetter: Schnee wechselt mit Regen, und Wolken hängen oft hartnäckig an den Berghängen.

»Ich bin überzeugt, das werden schöne Spiele hier«, meint Norbert Baier, Sportlicher Leiter für Biathlon beim Deutschen Skiverband. Jochen Behle ist eher skeptisch: »Für die erfahrungsgemäß vielen Zuschauer bei Olympia ist alles ein wenig klein hier.« Das betrifft auch die Hotelkapazitäten in Whistler. So wurde eine alte Idee wieder aufgegriffen, Kreuzfahrtschiffe auf den Fjord nach Squamish zu schippern und als Unterkünfte zu nutzen. Für Billy in seinem Alkoholshop nebenan gewiss eine gute Nachricht.