Schöne Reden

  • Conrad Taler
  • Lesedauer: 3 Min.
Der 1927 geborene Journalist und Buchautor lebt in Bremen.
Der 1927 geborene Journalist und Buchautor lebt in Bremen.

In Hamburg wird morgen die diesjährige Woche der Brüderlichkeit eröffnet, mit der die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit die Verständigung zwischen Christen und Juden fördern und so dem Antisemitismus entgegentreten wollen. Seit 57 Jahren ergießen sich aus diesem Anlass schöne Reden über das Land, aber bewirkt haben sie allem Anschein nach wenig. Noch immer pflegt jeder fünfte Deutsche laut Umfragen seine antijüdischen Vorbehalte, und ein deutscher Papst ebnet einem notorischen Holocaustleugner die Rückkehr in den Schoß seiner allein selig machenden Kirche.

Dass die Bundeskanzlerin dem Heiligen Vater in die Parade gefahren ist, verdient höchste Anerkennung, aber ihre Partei hat in dieser Sache wenig Grund zu moralischer Entrüstung. Als ehemalige DDR-Bürgerin weiß Angela Merkel vielleicht nicht, wie beschämend sich CDU und CSU verhalten haben, als Mitte der 1980er Jahre das Leugnen des Völkermordes an den Juden unter Strafe gestellt werden sollte. Mit Händen und Füßen wehrten sie sich dagegen, die Einmaligkeit dieses Verbrechens anzuerkennen. Sie bestanden darauf, auch das Verhalten »einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft« in die Strafandrohung einzubeziehen. Das zielte auf die von Hitler überfallenen Völker Osteuropas, denen die Vertreibung der Deutschen zur Last gelegt wurde.

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Helmut Leonardy, bezeichnete diese Denkweise damals als »widerliche Aufrechnungsmentalität«. Ähnlich äußerte sich der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Er hielt es für »unerträglich«, dass in die Geschichte des einmaligen Mordes an Millionen Juden »andere Faktoren« einbezogen würden. Die christlichen Unionsparteien ließ das kalt. Immer wieder verbanden sie den Blick auf die NS-Vergangenheit mit der Rückschau auf die Vertreibung, um damit Druck auf die Nachbarn im Osten auszuüben und sich der Anerkennung der Nachkriegsgrenzen möglichst lange entziehen zu können.

Zu den Uneinsichtigen auf dem rechten Flügel der Unionsparteien gehörte Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen. Sie lehnte im Bundestag nicht nur die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als polnische Westgrenze ab, sondern stimmte auch gegen die deutsch-tschechische Aussöhnungserklärung. Dieser Frau einen Platz im Stiftungsrat der Dokumentationsstätte »Flucht, Vertreibung, Verssöhnung« einzuräumen, wäre ein Bärendienst an den Bemühungen um eine Aussöhnung mit Polen. Schlimm genug, dass mit dieser Gedenkstätte der »Aufrechnungsmentalität« abermals symbolhaft Ausdruck verliehen wird.

Leser des Neuen Deutschlands (vom 13./14.3.2004) werden sich an die teuflische Satire erinnern, die führende CDU-Politiker 1964 quasi als Auftakt zur damaligen Woche der Brüderlichkeit inszenierten, als der wegen Auschwitzverbrechen verurteilte IG-Farben-Vorstand Heinrich Bütefisch für vermeintliche Verdienste um den Wiederaufbau das Große Bundesverdienstkreuz bekam. Er musste den Orden schließlich zurückgeben, doch eine Entschuldigung für diese Provokation gab es nie. Dafür gibt es morgen wieder schöne Reden.

Der unter dem Autorennamen Conrad Taler publizierende Kurt Nelhiebel war Rundfunkreporter von Radio Bremen und berichtete in den 60er Jahren vom ersten Auschwitzprozess in Frankfurt am Main.

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