Schwarz-weiß-roter Pudding

Kleine Kulturgeschichte der Deutschen – von Alexander Demandt

  • Armin Jähne
  • Lesedauer: 3 Min.
Schwarz-weiß-roter Pudding

Wer als ostdeutscher Leser die Seite 149 dieser lebendig geschriebenen, kleinen Kulturgeschichte erreicht hat, möchte an dieser Stelle die Lektüre am liebsten abbrechen und das Buch in die Ecke stellen. Er würde damit aber dem Autor und dem Anliegen seines Buches Unrecht tun, großenteils wenigstens.

Die Idee, über das »Was ist deutsch?« nachzudenken und den Zustand des kulturellen wie politischen Selbstverständnisses der Deutschen heute zu hinterfragen, ergab sich für Alexander Demandt aus der in diesem Lande seit einigen Jahren geführten »regen Diskussion um Bildungskanon und Leitkultur, ausgelöst durch die schrumpfende Kenntnis des deutschen Kulturerbes bei den Einheimischen und die wachsende Zahl von Mitbürgern aus fremdem Ländern«. Der Althistoriker stand also vor einer doppelten Aufgabe: einmal den deutschen Landsleuten bei der eigenen Selbstfindung zu helfen, zum anderen die ausländischen Einwohner – soweit sie daran interessiert sind – über jenes historische gewachsene kulturelle und politische Milieu zu informieren, in welchem sie nun leben, und es ihnen nahe zu bringen. Demandt wurde so, dem Zwang der Zeit gehorchend, zum Aufklärer. Er will – im positiven Sinne des Wortes – belehren, unterhaltsam, auch mit Witz und jenem ironischen Augenzwinkern, das manches Mal schon zum Sarkasmus wird. Kenntnisreich und auf das Wesentliche konzentriert, durchstreift er Deutschlands Vergangenheit. Höhepunkte werden gefeiert, Tücken und Verwerfungen nicht ausgelassen.

Nach dem kurzen Abriss der Geschichte des Kulturbegriffs geht es um »Germanen und Deutsche«, um ein Problem, das im Zuge des zweitausendjährigen Jubiläums der Schlacht im Teutoburger Wald wieder aktuell geworden ist. Man wird Demandt wohl recht geben müssen, wenn er – wie andere auch – die Identität von Deutschen und Germanen verneint, an einer Kontinuität von den Germanen zu den Deutschen aber nicht zweifelt. Land und Leute, Haus und Familie, Frauen und Liebe, Dorf und Stadt, Der Wald und die Bäume, Gott und Welt, Bauten und Bilder, Musik und Theater, Dichter und Denker, Technik und Wissenschaft, Krieg und Frieden, Staat und Recht, schließlich Spiele, Sport und Feste werden beschrieben.

Die sachliche Art der Darstellung weicht dem Klischee und der Absicht zur Manipulation, wenn der ideologische Gegner gemeint ist, sprich die DDR. So steht auf der bereits genannten Seite 149 geschrieben, dass »der 1949 geschaffene ›Arbeiter- und Bauernstaat‹ … nach stalinschem Vorbild den Agrarkommunismus« idealisierte und sich ihm »durch die seit 1952 forcierte Kollektivierung der Landwirtschaft« näherte. »Der nun enteignete private Grundbesitz, Viehbestand und Maschinenpark wurden in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) überführt. Aus freien Bauern wurden Staatsbedienstete, weisungsgebundene ›Werktätige‹ des Parteiapparates.« Das ist blanker Unsinn! Nur soviel in aller Kürze: Der Boden blieb in der Regel im Grundbuch eingetragenes bäuerliches Eigentum, wenngleich die Nutzungsrechte an die Genossenschaft übergingen. Der LPG-Bauer war kein »Staatsbediensteter«, sondern erwirtschaftete selbst sein Einkommen gemeinsam mit den anderen Genossenschaftsmitgliedern, wobei die von ihm in die LPG eingebrachten Bodenanteile mit berücksichtigt wurden.

Der im Urteil sonst ausgewogene und in allen Feinheiten der Quellenkritik bewanderte Demandt hätte sich ein gründlicheres Bild der DDR-Wirklichkeit verschaffen sollen – und können. Zu Mauerzeiten unterhielt er Kontakt zu einem Kollegen in Ostberlin. Man traf sich, wie von Demandt bekundet, am Tag der Reichseinigung und aß schwarz-weiß-roten Pudding. Der Gast ahnte damals nicht, dass der Besuchte IM mit Feindberührung und die Süßspeise vermutlich von Stasi oder KGB gesponsert waren. Aus dieser Erfahrung heraus hätte er zusätzliches Kapitel anfügen können: »Spitzel, Nörgler und Denunzianten« – von der deutschen Frühzeit bis zur Gegenwart.

Alexander Demandt: Über die Deutschen. Eine kleine Kulturgeschichte. Propyläen/Ullstein, Berlin. 496 S., geb., 24,90 ¤.

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