Einbruch der Dunkelheit

»Furcht und Elend des Dritten Reiches« von Brecht im BE

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 3 Min.
»Furcht und Elend des Dritten Reiches«
»Furcht und Elend des Dritten Reiches«

Wie ein politischer Vorgang, die Übernahme der Macht in Deutschland durch die Nationalsozialisten, die durchgreifende Veränderung des Alltags zur Folge hat, beschrieb Bertolt Brecht in seiner Szenenfolge »Furcht und Elend des Dritten Reiches«. Diese entstand schon während der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, sie folgte den Ereignissen auf dem Fuß, mit hellsichtiger Klarheit und dem ahnungsvollen Wissen um kommende Verhängnisse. Was geschieht mit Menschen, die einfach leben, arbeiten, lieben wollen, wenn plötzlich Angst herrscht, Angst vor einer neuen, brutalen Macht?

Vertrauen schwindet, was auch gesagt und getan wird, ist plötzlich doppeldeutig, auslegbar. Vorsicht wird gebraucht, weil nichts mehr gilt wie noch Tage oder Wochen zuvor. In 27 Szenen hat Brecht diesen Einbruch der Dunkelheit gefasst, diese Umwertung aller Werte, als einen schleichenden, aber unaufhaltsamen Prozess, in Küche, Wohnzimmer, Gerichtssaal, auf der Straße und im Moor. Sieben dieser Szenen kamen jetzt im Pavillon des Berliner Ensembles erneut auf die Bühne, inszeniert und im Bühnenbild von Manfred Karge. Ein langer Tisch und Stühle auf einem niedrigen Podest in der Mitte des Raumes genügen, um die von Brecht skizzierten alltäglichen Begebnisse unter den Bedingungen des zur Herrschaft gekommenen Faschismus in Fluss zu bringen. Manfred Karge, der am Premierenabend Geburtstag hatte, baut die Szenen mit unbestechlicher Genauigkeit, er setzt auf Ruhe, auf Überlegung und macht dadurch die tiefe Verunsicherung von Menschen besonders deutlich, die einer schweren Bedrückung nicht ausweichen können.

Diese Vielfalt des Verhaltens wird von neun Darstellern mit Genauigkeit erfasst, mit Liebe zum Detail, mit einer selbstverständlichen Sicherheit, wie sie zu den Errungenschaften des Brecht-Theaters gehören. Und doch gibt es überraschende neue Zugänge zu den Szenen der Folge. Swetlana Schönfeld gibt der »Jüdischen Frau« eine aggressiv gefärbte Bitterkeit, lässt die zur Flucht Entschlossene ausbrechen aus ruhig-gefasster Freundlichkeit. Eine Zerrissene steht auf der Bühne, eine Anklagende, mühsam um Beherrschung ringend. Die Schauspielerin hat den Mut, sich von Helene Weigel abzusetzen, die 1957 in einer noch von Brecht angeregten Inszenierung der Szenenfolge am Berliner Ensemble die jüdische Frau spielte.

Auch andere Szenen sind in hohe emotionale Spannung gebracht. Wie Alltägliches aus der Balance kommt, das Wohltemperierte in Hitze gerät, Biederkeit in nackte Bosheit umschlägt, zeigt Dieter Montag in mehreren Rollen. Sein Richter, sein Vater, böse aus Sicherheiten gerissen, haben in ihrer Hysterie, ihrem Herausfallen aus dem brav Gewohnten mehr als nur einen Hauch Komik und bleiben doch Menschen in Not. Die »einfachen« Leute der Szenenfolge sind in der Aufführung nicht mit Betulichkeit überzogen, sondern haben, besonders bei Norbert Stöss und Eva Brunner, Kraft, Sicherheit, Klugheit und eine ganz eigensinnige ironische Selbstbehauptung. Nichts vordergründig Belehrendes strahlt die Inszenierung aus, sie führt rückhaltlos ehrlich vor, wie schnell, wie durchgreifend Alltägliches in eine existenzielle Krise kommen kann, nicht nur unter faschistischer Herrschaft.

»Furcht und Elend des Dritten Reiches« im Berliner Ensemble, Aufführungen am 4. und 27. März

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