Polens Rechte übt Rache

Linke Abgeordnete gegen Kollektivbestrafung

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 2 Min.
Warschauer Medien berichteten am letzten Wochenende über eine Pressekonferenz, die von linken und demokratischen Abgeordneten im Sejm zur Frage der kollektiven Schuld und Verantwortung ehemaliger hauptberuflich tätiger Funktionäre der Sicherheitsorgane in der Volksrepublik Polen anberaumt wurde.

Anlass der Pressekonferenz war die Tatsache, dass Staatspräsident Lech Kaczynski ein Gesetz über die Altersrenten für Mitglieder der »Esbecja« unterzeichnet hat. (Esbecja ist in Polen eine ähnliche Kurzformel wie in Deutschland der Begriff Stasi). Das Gesetz war Anfang Januar von den beiden Rechtsparteien – der regierenden Bürgerplattform (PO) und der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) – im Sejm angenommen und gleich darauf vom Senat bestätigt worden. Vorbereitet hatte es das Institut für Nationales Gedenken (IPN), die polnische »Birthler-Behörde«.

Betroffen sind davon auch die nach der Wende auf Anordnung des damaligen Premiers Tadeusz Mazowiecki überprüften und vom neuen Staatsschutzamt (UOP) übernommenen Offiziere. Vor allem aber zielt das Gesetz auf die Mitglieder des Militärrats zur Rettung der Nation (WRON), die am 13. Dezember 1981 den »Kriegszustand« ausgerufen und ihn anschließend verwaltet hatten.

Allen Betroffenen wird per Gesetz die Altersrente gekürzt. Und zwar sollen ihnen für jedes Dienstjahr nur noch 0,7 Prozent des Grundniveaus der Rente gutgeschrieben werden. Der normale Wert liegt in Polen bei 1,3 Prozent, die Funktionäre der »Dienste« erhielten bisher allerdings 2,6 Prozent. Aus dem Doppelten des Normalen wurde also die gute Hälfte. So würde ihre Rente statt der bisherigen 2400 Zloty (so viel bekamen etwa 85 Prozent der Uniformierten) nur noch 636 Zloty betragen. (4,6 Zloty entsprechen derzeit einem Euro.) Die durchschnittliche Altersrente beläuft sich gegenwärtig auf 1400, die niedrigste auf 675 Zloty. Dass die Bezüge für »Esbecja«-Angehörige aufs niedrigste Niveau sinken, bezeichnet Polens Rechte »als Ausdruck der historischen Gerechtigkeit«.

Das sei eine verfassungswidrige Regelung, die auf dem Grundsatz von kollektiver Schuld und Verantwortung fußt, argumentieren Vertreter der linken und demokratischen Opposition. Sie informierten Polens Öffentlichkeit darüber, dass 53 Sejmabgeordnete das Verfassungstribunal anrufen werden, um die Aussetzung der diskriminierenden Gesetzes zu beantragen. Jerzy Szmajdzinski, Janusz Zemke und Jan Widacki wehrten sich gegen die Unterstellung der »Gazeta Wyborcza«, sie wollten »die Esbecja reinwaschen«. Darum gehe es überhaupt nicht. Wer sich eines Verbrechens oder eines Rechtsbruchs schuldig gemacht habe, gehöre vor Gericht. Der Sejm könne sich aber unmöglich als höchstes Gericht aufspielen, sagte dessen Vizemarschall Jerzy Smajdzinski, es gebe schließlich die verfassungsmäßig verbriefte Gewaltenteilung. »Wir verteidigen nicht die Esbecja, sondern halten es mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates«, sagte Prof. Jan Widacki. Die Zeitung »Trybuna« bezeichnete das vom Staatspräsidenten unterzeichnete Gesetz als einen Akt der Rache.

Tatsache ist, dass die bisherige Höhe der Renten für die »Uniformierten« von einer großen Mehrheit in Polen als ungerecht und unverständlich empfunden wurde.

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