• Kultur
  • Preis der Leipziger Buchmesse

Der Titel mit vier »f«

Sibylle Lewitscharoff auf bizarrer Suche nach Bulgarien

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Muss man ein Land lieben, nur weil es die Altvorderen hervorgebracht hat? Nicht unbedingt. Aber muss man es aus demselben Grund gleich hassen? Die Eltern der Feuilletonistin Sibylle Lewitscharoff, studierte Literaturwissenschaftlerin und Autorin einiger preisgekrönter Romane, hat es nach dem Zweiten Weltkrieg aus Bulgarien nach Deutschland verschlagen. In der Zeit des Wirtschaftswunders, in der Hauptstadt vom »Musterländle«, in Stuttgart, wurde ihre Tochter geboren.

Frau Lewitscharoff spricht selbst kein Wort Bulgarisch. Ein Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung hat es ihr Mitte ihrer 50er ermöglicht, ins Land ihres Vaters zu reisen. Ein Vetter, des Bulgarischen mächtig, war ihr Reiseführer. Daraus hat sie nun dieses Buch gemacht.

Was für ein Bulgarien hat sie, die in ihrer Jugend in der BRD eher eine extreme Linke war, gesucht? Ein »verzweifeltes Land, das bei Nacht noch viel verzweifelter ist«. Dabei hat sie keine Reisereportage geschrieben, sondern einen bizarren Plot für ihre Suche nach Bulgarien gefunden. Zwei im Stuttgart der frühen 50er Jahre von einem Arzt bulgarischer Herkunft gezeugte Schwestern sind nach Sofia eingeladen – von Tabakoff, einem zu Reichtum gekommenen Haupt der Großfamilie, der seine 19 besten Kumpane post mortem heimholen will. Wie dieser einen Riesenkonvoi von Luxuslimousinen zu einem Korso quer durch Europa organisiert, liest sich überaus vergnüglich. Mit welch großem Bahnhof diese neureiche Superprozession zum Buchende ihr Ziel erreicht, 19 spezialbehandelte Kästchen mit Leichenresten nochmals unter die Erde zu bringen, ist schon eine hübsche Geschichte. Die beiden Schwestern werden von dem deutschsprechenden Tausendsassa Rumen Apostoloff in einem klapprigen Daihatsu chauffiert. Was sie im wenig gelobten Land leiden müssen, passt auf keine Schaffellhaut, dafür aber zwischen zwei Buchdeckel. Die Schwarzmeerküste: »Verbaut, verpatzt, verdreckt.« Das Meer davor: »Aschgrau« und »leergefischt«. Der Fisch: »Ein verkokelter Witzfisch.« Bulgarische Kunst im 20. Jahrhundert: »Abscheulich, und zwar ohne jede Ausnahme.« Die Architektur (Klöster, Moscheen ausgenommen): »Ein Verbrechen«. Dimitroff: »Glotzäugig.« Auf dem Obst: »Tonnenweise Pestizide«. Selbst die Chöre erinnern nicht an Orpheus, sondern eher an geifernde Mänaden, »Lärmkanaillen, rachsüchtig, blutwütig, böse«.

Die Geschichte dieser Reise in ein von Todor Shiwkow so deformiertes Land lässt einen manchmal denken, dass die alten Machthaber dort immer noch das Sagen haben. Hätte die Ich-Erzählerin von Sibylle Lewitscharoff nicht noch eine Schwester an ihre Seite bekommen (die im Daihatsu vorne sitzen darf), sie wäre längst geplatzt vor Ärger über diese so unmöglichen Leute.

Die Schwester: Ein geschickter schriftstellerischer Kunstgriff. Eigentlich ist sie das gütigere, nachsichtigere und freundlichere Pendant zur rachsüchtigen und geifernden Erzählerin. Einunddieselbe Figur in ihrem Gespaltensein. Dadurch aber seltsam amorph. Jeder aus dem Stuttgarter Familienclan hat einen Namen und eine kleine Geschichte. Die Erzählerin hat nur die Wut auf ihren Vater (der mit 40 seinem Leben selbst ein Ende setzte – auch daran könnten noch die Kommunisten Schuld gewesen sein) und dessen Herkunft. Zum Glück hat sie ihre Schwester – ebenso namenlos wie sie selbst. Aber sie hat ja auch noch ihre Reiselektüre dabei, aus der munter zitiert wird, von einer Stalin-Biografie bis zu Hölderlin-Notaten.

Diese Teile des Romans bereiten dem Leser fast ebenso viel Pein, wie das Land und seine Leute der Erzählerin. Immerhin erfährt man, warum die einen Angelow oder Shiwkow heißen und die anderen Apostoloff oder eben auch Lewitscharoff: das flotte ff am Schluss verleiht dem Namen »mehr Dynamik«. Und: »Ein Engel mit w am Ende wirkt schlapp, fliegt nicht; kaum vom Boden losgekommen, landet er weich und plump im Schnodder.«

Muss man ein Buch mögen, nur weil es für einen Preis nominiert wurde? Nein. »Nicht die Liebe vermag die Toten in Schach zu halten, denke ich, nur ein gutmütig gepflegter Hass.« Das ist der Letzte Satz in Sibylle Lewitscharoffs Buch. Er ist genau so originell, wie er falsch ist.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal