Freud und Leid

Episoden aus Leipziger Studienzeit

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Zweifelsfrei hat man Schulz anno dazumal übel mitgespielt. Er träumte vom Medizinstudium, wurde wegen mangelnder Potenzen in den Fächern Russisch und Staatsbürgerkunde abgelehnt, um paradoxerweise zum Lehrerstudium der Geschichte an die Leipziger Karl-Marx-Universität »umgelenkt« zu werden. Und so beginnen 1981 die studentischen Freuden und Leiden des jungen Schulz. Ihn ereilt jenes Schicksal, wie es noch jede Generation der gemeinen Studiosi mehr oder minder ereilte. Er hat es mit lehrenden Ignoranten, promovierten Nichts- und diplomierten Besserwissern zu tun, mit gern theoretisierenden, aber praxisfernen Schlauwichten sowie ideologischen Stumpfsinnverbreitern, leidet unter »bleischwerer Propaganda«, der »Enge der DDR«, schimpft wie andere hier und da in sich hinein.

Gar mancher, der einst an der KMU oder anderswo sein Unwissen zu verringern suchte, vermag gewissermaßen beim Genuss einer Feuerzangenbowle wie dereinst Spoerl und Reimann in ähnlicher Weise über das Studentsein zu fabulieren – und zwar in leichter Abwandlung eines Wortes der beiden, dass es sich dabei um ein Loblied auf die Uni handele, es durchaus aber möglich sei, dass die Uni es gar nicht merke.

Der Studienalltag der Lehrerhistoriker war geprägt von etwa 1000 Vorlesungen, einer gleichen Zahl von Seminaren, endlosen Bibliotheksaufenthalten. Es füllten sich 80 bis an den Rand bekritzelte Schnellhefter, dazu gab es eine Unzahl an Referaten, Hausarbeiten, Klausuren und Prüfungen. Man fühlte sich nicht als Oppositionelle, wie Schulz schreibt, aber auch nicht angepasst an die gesellschaftlichen Strukturen. So reibt sich der junge Mann an der russischen Pädagogik-Ikone Makarenko – der hatte versucht, in Heimen aus Strolchen ordentliche Menschen zu machen –, indem er dessen Werke auf einem Büchertrödel einfach verkauft, bevor er sie überhaupt gelesen hatte. Während eines Praktikums begegnet der Autor einer gewissen Lotte Ulbricht, die eine nach ihrem Manne benannte Schule besucht. Allerdings bekommt sie die Gelegenheit nicht, Herrn Schulz kennenzulernen, denn der flüchtet rechtzeitig und nachhaltig, wie man heute sagt.

Schulz mosert wegen der militärischen Reserveausbildung, witzelt über Politiker, findet Gefallen an historischen Ausgrabungen, ärgert sich über provokant scharfe Kontrollen bei einem Pragflug, muntert auf bei Debatten in Studentenklubs und versenkt sein Lehrerdiplom rigoros und wütend in einem Sektkelch, weil ihm trotz Leistungsstipendien und vieler freiwillig geleisteter Zusatzstudienaufträge eine schlechte Gesamtnote erteilt wird.

Auch nach dem Studium hängt er weiter an seiner Uni und deren Geschichte, schildert seine Sicht auf die Montagsdemos 1989, mag auch künftighin keine Parteien und politischen Zwänge, engagiert sich schließlich dennoch im Paulinerverein, um sich für den Wiederaufbau der 1968 gesprengten Kirche und eine Umgestaltung der Leipziger Universität in ihrem historischen Gewande einzubringen.

Die Episoden, Beschreibungen und Anmerkungen aus den »wunderbaren Jahren an der KMU« fügen sich zu einem durchaus realistischen Bild zusammen, zu einer Lektüre zwischen Heiterkeit und Nachdenklichkeit. Gleichnisse hin zu anderen Fachrichtungen damals sind nicht zu übersehen. Andere Studenten mögen andere Erfahrungen gemacht, manche vieles anders gesehen haben. Gleichwohl hat der Verlag ein Büchlein vorgelegt, das uns an uns erinnert.

Roman Schulz: Zwischen Hörsaal 13 und Moritzbastei – Universitätsgeschichten aus drei Jahrzehnten, Militzke Verlag. 160 S., brosch., 12,90 EUR.

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