nd-aktuell.de / 12.03.2009 / Politik / Seite 5

Altfallregelung geht nach hinten los

Knapp 30 000 Migranten »auf Probe« sind nächstes Jahr von Abschiebung bedroht

Nicolaus Schütte
Viele langjährig Geduldete haben lediglich eine »Aufenthaltserlaubnis auf Probe« erhalten. Bis zum Jahresende müssen sie eine eigene Arbeit vorweisen. Ansonsten droht ihnen nächstes Jahr die Abschiebung.

Geduldete Migranten leben mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland. Alle paar Monate müssen sie ihre »ausgesetzte Abschiebung« beim Ausländeramt verlängern. Diese Situation sollte sich durch eine Altfallregelung für geduldete Migranten verbessern. Um ein Ende der Kettenduldungen zu erreichen, wurde im August 2007 hierzu das Aufenthaltsgesetz geändert. Danach konnten ehemalige Geduldete, die sich zum 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren in Deutschland aufhielten, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Für Familien reichen sechs Jahre aus.

Voraussetzungen für ein Bleiberecht sind unter anderem Deutschkenntnisse, dass die Kinder die Schule besuchen, keine falschen Angaben gegenüber der Ausländerbehörde gemacht wurden und eine höchstens geringe Straffälligkeit. Die größte Hürde besteht aber in der Bedingung, den Unterhalt dauerhaft selbst zu verdienen. Schaffen Migranten das nicht, erhalten sie ihre Aufenthaltserlaubnis lediglich »auf Probe«. Am Ende des Jahres zählt rückwirkend der 1. April als Stichtag, ab dem eine Arbeit vorliegen muss. Der Flüchtlingsberater Frank Gockel vom Arbeitskreis Asyl aus Bielefeld stellte bei einer Info-Veranstaltung eine Beispielrechnung für eine vierköpfige Familie auf. Bei einer Miete von 500 Euro verlangt das Innenministerium NRW ein Einkommen von 2550 Euro. Eine unerreichbar hohe Summe für die meisten Migranten.

Pro Asyl unterstützte die Roma-Familie C., die im Frühjahr 1992 aus Kosovo nach Deutschland flüchtete. Ihre vier 11- bis 13-jährigen Söhne wurden hier geboren. Die Familie war bereits sozial sowie rechtlich integriert und wollte sich sogar einbürgern lassen. Dann wurde jedoch der Flüchtlingsstatus bei Kosovoflüchtlingen widerrufen. Die jetzige Möglichkeit auf ein dauerhaftes Bleiberecht wurde zur einzigen Hoffnung. Jetzt bangen sie darum, zum Stichtag wirklich unabhängig von Sozialleistungen zu sein.

Nach einer Anfrage von Ulla Jelpke, der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, betrifft das Problem des fehlenden selbstständigen Unterhalts 81 Prozent der 35 040 Migranten, die eine Altfallregelung beantragt hatten. »Für fast 30 000 Betroffene, die nur eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe haben, sind die Aussichten angesichts der Weltwirtschaftskrise düster; finden sie jetzt keinen Job, droht die Abschiebung« so Jelpke.

Die meisten Migranten arbeiten im Niedriglohnsektor, wo sich der Wettbewerb durch die Krise verschärft hat. Aufgrund geringer Löhne ist es schwierig, den Ansprüchen der Ausländerbehörden gerecht zu werden. Die Anwendung der Gesetze in den Ausländerbehörden unterscheidet sich in den einzelnen Ländern. In Berlin beispielsweise ist der Regelsatz der Jobcenter ein Maßstab.

»Die Migranten, die zu uns zur Beratung kommen«, so Eva-Maria Kulla von der Initiative »Bleiberecht durch Arbeit« des Diakonischen Werkes, »wollen mit aller Macht die Chance ergreifen, um aus der Kettenduldung langfristig herauszukommen. Aber manche finden keine Arbeit und bekommen Angst und Panik«, so Kulla. Die Beraterin wendet sich an Unternehmer: »Meine Migranten sind hoch motiviert.«

»Eine Katastrophe« erwartet Gockel aufgrund möglicher massenhafter Abschiebungen im nächsten Jahr. Viele Migranten konnten früher nicht abgeschoben werden, da kein Pass vorgelegen hat. Für die »Aufenthaltserlaubnis auf Probe« haben Geduldete jetzt ihre Pässe besorgt, so dass keine Abschiebehindernisse mehr bestehen. In Ausländerbehörden würde von 2010 als einem »Jahr der Abschiebungen« gesprochen. Anstatt die Integration von Migranten zu fördern, hätte die Altfallregelung dann das Gegenteil erreicht: Die Ausgrenzung vieler Migrantinnen und Migranten.