nd-aktuell.de / 13.03.2009 / Wissen / Seite 12

Der Traum ist aus

In Berlin ist das Projekt Gemeinschaftsschule gescheitert

Lena Tietgen
Auf dem Landesparteitag der Berliner Linkspartei Ende März werden die Delegierten auch über die Zukunft des Modellprojekts Gemeinschaftsschule (GemS) debattieren. Während sich die Parteispitze nach wie vor von dem Projekt einen Einstieg in ein eingliedriges Schulsystem erhofft, hat Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner mit seinem zweigliedrigen Schulmodell die Linkspartei längst ausgebremst.

Wir erinnern uns. Beginnend als Pilotphase, später in die Fläche ausbreitend, sollte sich ein inklusives Schulmodell nach skandinavischem Vorbild, die GemS, entwickeln. So wollte es die Linkspartei, so stand es im Koalitionsvertrag, so sah es aber nicht Jürgen Zöllner. Dieser sah sich, als er zum Bildungssenator berufen wurde, einem bereits beschlossenen Koalitionsvertrag gegenüber, den er so sicher nicht vereinbart hätte. Und so düpierte er alle Vertreter der geplanten GemS kurz nach ihrem Start im Oktober 2008 mit seinem Eckpunktepapier, das ein zweigliedriges Schulsystem aus Gymnasien und Sekundarschulen vorsieht. Hieraus wurde ein Programm, das als »Mitteilung über die Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur« am 10. Februar 2009 vom Berliner Senat beschlossen und an das Berliner Abgeordnetenhaus »zur Kenntnisnahme« weitergeleitet wurde. Eine Verabschiedung ist für April 2009 geplant.

Das rasante Tempo, das Zöllner dabei anschlägt, wird noch durch Mittel aus dem Konjunkturprogramm, die in die Sanierung und baulichen Änderungen von Schulgebäuden gesteckt werden sollen, erhöht. Somit wird nicht nur auf die bauliche Gestaltung der Schulen Einfluss genommen. Die Befürworter einer Mehrgliedrigkeit verschaffen sich so Machthoheit.

Im Landtagswahlkampf 2006 präsentierte die Linkspartei die Forderung nach einer GemS mit dem Slogan »Finnisch Schlau«. Hierdurch bediente sie das durch die PISA-Studien aufgewühlte öffentliche Klima. Sie holte sich Sachverstand aus Wissenschaft und Praxis, verschaffte sich Respekt bei Befürwortern eines inklusiven Schulmodells und konnte genügend Schulen für die erste Pilotphase begeistern.

Trotzdem gelang es der Linkspartei nicht einmal innerhalb ihrer eigenen Strukturen, das Projekt auf breite Füße zu stellen. Problematisch erwies sich, dass sie die notwendige Sachkenntnis nicht aus eigener Kraft entfalten konnte. Die Idee wurde in der Fraktion geboren und musste durch außenstehenden Sachverstand aufgefüllt werden, während parallel diese Idee zur Politik gerinnen sollte. Hier setzt die erste Zumutung ein: Der inklusive Bildungsansatz beinhaltet einen Paradigmenwechsel zum lebenslangen Lernen und zur partizipativen Demokratie.

Diese Paradigmen setzen allerdings den Dialog an den Anfang. Folglich wäre die Linkspartei besser bedient gewesen, hätte sie von Beginn an mehreren Stimmen Raum und Glauben geschenkt. Die zweite Zumutung liegt in der Gleichzeitigkeit von Ideenentwicklung und politischer Umsetzung in Personalunion. Im Kern befasste sich lediglich eine Handvoll Linkspolitiker mit der Thematik. Eine derart enge Personaldecke lässt keine Luft, ein breites Netzwerk innerhalb und außerhalb der Partei zu knüpfen. In einer Netzwerkgesellschaft verkümmert jede noch so gute Idee ohne Kraftentfaltung mittels des »Netz-Werkens«, bestenfalls verbrennen die wenige engagierten Akteure. Im Ergebnis versagte die Linkspartei als lernende Organisation.

Die Linksfraktion befindet sich in einem Dilemma. Einerseits muss sie sich gegenüber den Schülern und Eltern der Gemeinschaftsschulen kooperativ verhalten. Bei dem jetzigen Kräfteverhältnis zwischen Linkspartei und Bildungssenat kann das Modellprojekt zwar das Programm von Zöllner verbessern, ohne jedoch einen Einstieg in die GemS als dominierende Schulform zu gewährleisten. Die Durchsetzung einer GemS braucht einen Großteil der Gesellschaft, um zum Beispiel Gymnasien künftig daran zu hindern, Schüler »abzuschulen«. Dennoch sollte die Linkspartei ihren Einfluss geltendend machen und Bewegungsräume schaffen, in denen Gymnasien zu einer aussterbenden Gattung werden. Ganz im Sinne Rio Reisers, der einst dichtete: »Der Traum ist aus. Aber ich werde alles geben, daß er Wirklichkeit wird.«

Die Autorin ist Erziehungswissenschaftlerin und lebt in Berlin. Im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung verfasste sie eine Studie zur Pilotphase des Modells Gemeinschaftsschule in Berlin (»Auf den Weg gemacht. Fragen zum politischen Willensbildungsprozess zu ›Eine Schule für Alle‹«).