Rechte wollen wieder nach »Europa«

Nach EU-Wahl könnte es erneut zur Bildung einer eigenen Fraktion im Parlament kommen

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Rechtsextreme Parteien entdecken immer mehr die EU als Handlungsraum. Im Europaparlament konnten sie 2007 zeitweise eine eigene Fraktion bilden. Eine Neuauflage dieses Vorgehens scheint nach den Juni-Wahlen möglich.

Ein Gespenst geht um in Europa, und es heißt diesmal Rechtsextremismus. Ausländer- und europafeindlich gesinnt sitzen die Verächter des Internationalen auch im EU-Parlament. 2007 bildeten Abgeordnete rechtsextremer Parteien in der europäischen Volksvertretung sogar eine eigene Fraktion, die sich »Identität, Tradition, Souveränität« (ITS) nannte. Sie zerbrach nach elf Monaten, doch die Frage bleibt aktuell: Was machen die Rechtsextremen mit Europa? Wie gehen sie mit dem Widerspruch um, im Nationalen das Heil der Welt zu sehen, sich gleichzeitig aber auch über Grenzen hinweg zu verbünden? »Eine Internationale der Nationalisten? Europäische Netzwerke der extremen Rechten: Aktueller Stand und Entwicklung« – zu dieser Veranstaltung lud deshalb Gabi Zimmer, Europaabgeordnete für DIE LINKE, vergangene Woche ins EU-Parlament.

Dass gerade DIE LINKE sich um einen genaueren Blick auf das rechte Spektrum bemüht, kommt nicht von ungefähr. Werden die Sozialisten doch oft mit Nationalisten und Rechtsradikalen in einen Topf geworfen sehen, wenn es um europakritische Haltungen geht. »Wir müssen deshalb unseren Gegner kennen, um uns deutlich in unseren Argumenten von ihm abgrenzen zu können«, sagte dann auch Zimmer in ihren Eingangsworten. Sie sieht die Kritik der Linken an der EU nicht als fundamentale Ablehnung einer supranationalen Einheit der Völker Europas – und darüber hinaus –, wie das bei den Rechtsextremen der Fall sei. So wolle die Linke eine anders gestaltete EU als diejenige, die gegenwärtig in Brüssel angeboten werde. EU und Nationalismus seien im Grunde ein Paradoxon.

Das bestätigte ihr in einem erhellenden Vortrag Carsten Hübner. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der PDS war von Zimmer mit der Anfertigung einer Studie »Rechtsextreme Netzwerke und Parteien in Europa« beauftragt worden. »Es ist erstaunlich zu sehen, wie wenig über das Thema bislang geforscht ist«, sagte Hübner zu Beginn. Und das, obwohl die ITS-Fraktionsbildung 2007 nicht das erste politische Bündnis Rechtsradikaler auf EU-Ebene war. Vorläufer gab es zwischen 1984 und 1994 unter Führung der damals starken Front National aus Frankreich. Was den Rechtsnationalen jedoch tatsächlich fehle, sei eine eigene Europa-Ideologie. So etwas habe es in früheren Jahren gegeben, zwischen 1920 und 1950. Heute präge der Ethnopluralismus die rechtsradikale Gedankenwelt. Jede nationale Einheit solle sich, ohne aggressive Absichten gegenüber anderen, innerhalb der nationalen Grenzen um »völkische und kulturelle Homogenität« kümmern. Also keine Feindschaft zum Beispiel zu Türken, solange die Türken in der Türkei bleiben.

Entwarnung also vor einer drohenden Nutzung der Plattform EU oder von Europa für die Verbreitung rechtsnationalen Gedankenguts? Keinesfalls. Denn erstens wies Hübner auf die kommunale und regionale Europa-Ebene hin, auf der sich Rechtsradikale zunehmend vernetzten. Die »Städte-Allianz gegen Islamisierung und Überfremdung« gilt zum Beispiel als ein solcher Regionalbund, zu dem sich die deutsche »Pro Bewegung«, der belgische Vlaams Belang und die österreichische FPÖ Anfang 2008 zusammengeschlossen hatten.

Zweitens sei nicht ausgeschlossen, dass es nach den Europawahlen im Juni erneut zur Bildung einer Fraktion rechtsextremistischer Parteien im EU-Parlament kommen könnte. Zwar wurden die Hürden dafür erhöht – eine Fraktion muss künftig aus mindestens 25 (statt bisher 20) Abgeordneten aus sieben Ländern bestehen. Doch laut Hübner sei zu erwarten, dass alle Parteien der ehemaligen ITS-Fraktion außer der Front National bei den Wahlen zulegen können. Eine eigene Gruppierung oder die Aufnahme in die Fraktion »Europa der Nationen« von »gemäßigten« Rechtsextremen und Konservativen sei denkbar. Womit das Gespenst mit Namen Rechtsextremismus wohl weiter im EU-Parlament herumspuken könnte.


Das Stichwort - Rechtsextreme im Europaparlament

Derzeit gehören 53 Europaabgeordnete aus zehn Ländern Parteien an, die als rechtsnational oder rechtsextrem bezeichnet werden. Vier dieser Parteien kommen aus Italien, zwei aus Polen. Der Rest verteilt sich auf Österreich, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Rumänien, Dänemark, Lettland und Griechenland. Aus Deutschland saßen zwischen 1989 und 1994 sechs Politiker der »Republikaner« im EU-Parlament. Insgesamt besteht das EU-Parlament aus 785 Abgeordneten. (ND)

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