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Amoklauf: Kein Licht im Dunkel

17-jähriger Täter hatte Bluttat im Internet angekündigt / Offene Fragen nach den Gründen

  • Lesedauer: 3 Min.
Am Tag nach dem Amoklauf in Winnenden sind erste Informationen über die Umstände der Bluttat an die Öffentlichkeit gelangt. Vor allem aber beschäftigt die Frage nach dem Warum die Öffentlichkeit.

Berlin (ND/Agenturen). Der 17-jährige Tim K. hat seine Tat im Internet angekündigt. Die Gewalttat an seiner früheren Schule deutete er in der Nacht zum Mittwoch in einem Internet-Chat an, wie Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) am Donnerstag sagte. Die genauen Motive des Jugendlichen blieben rätselhaft.

Wie Rech sagte, schrieb Tim K., es reiche ihm, er habe dieses »Lotterleben« satt. Alle lachten ihn aus, niemand erkenne sein Potenzial. Er meine es ernst, er habe Waffen und werde am Morgen an seine frühere Schule gehen und »mal so richtig gepflegt grillen«. Sie würden am nächsten Tag von ihm hören, »merkt euch nur den Namen des Ortes: Winnenden«. Auf den Internet-Chat stießen die Ermittler durch den Hinweis eines 17-Jährigen aus Bayern, der daran in der Nacht teilgenommen hatte. Der Jugendliche habe die Ankündigung zunächst nicht ernst genommen.

Bei seinem Amoklauf gab der 17-Jährige nach Angaben des Innenministers mehr als 100 Schüsse ab, allein in der Schule mindestens 60. Laut Polizei kam er am Mittwochmorgen mit mehr als 200 Schuss Munition in die Schule. Dort erschoss der Jugendliche neun Schüler und drei Lehrerinnen. Auf der Flucht tötete er drei weitere Menschen und schließlich sich selbst. Sein Vater besaß die Waffen, zu denen die Tatwaffe gehörte, als Mitglied eines Schützenvereins legal. Der Junge war selbst nicht Mitglied im Schützenverein, nahm allerdings an Schießübungen teil.

Die verletzten Schüler und die bei einem Schusswechsel angeschossenen Polizisten befanden sich am Donnerstag nicht in Lebensgefahr. Angehörige der Opfer und die Schüler wurden weiter intensiv psychologisch betreut. Allein 50 Schulpsychologen, einige davon aus anderen Bundesländern, waren laut Angaben der Polizei im Einsatz.

Der 17-jährige Amokläufer befand sich dem Landesinnenminister zufolge seit 2008 auch wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung, Fachleute widersprachen aber der These, dass dies eine Erklärung für die Tat sein könnte. »Jemand, der depressiv ist, wird nicht so aggressiv«, sagte Ulrich Hegel, Leiter der Klinik für Psychiatrie an der Uniklinik Leipzig in einem WAZ-Interview. Andere psychische Erkrankungen könnten jedoch nicht ausgeschlossen werden. Tim K. besaß den Ermittlern zufolge auch so genannte Killerspiele und Gewaltfilme. Nach den Worten des Leiters der zuständigen Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Siegfried Mahler, wurde der Jugendliche als zurückhaltender, stiller Mensch beschrieben, der »etwas verschlossen«, aber »durchaus freundlich« sei.

Nach älteren Angaben gibt es in Deutschland etwa 2,3 Millionen Bürger, die legal Waffen besitzen, weil sie ein besonderes Schutzbedürfnis nachweisen können oder Jäger, Sportschützen oder Sammler sind. Für viele ist unbegreiflich, dass der Vater des Amokläufers 4600 Schuss Munition zu Hause lagerte und die großkalibrige Pistole den Ermittlungen zufolge im Schlafzimmer aufbewahrte.

Unterdes meldeten sich zahllose Trittbrettfahrer mit Amokdrohungen, vor allem in Baden-Württemberg. Ein 22-Jähriger, der einen Amoklauf an seiner Berufsschule in Halberstadt ankündigte, wurde noch am gleichen Tag zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er habe auf einen schulfreien Tag spekuliert, hieß es.

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