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Spürsinn für die Weltlage

  • H.-D. Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi hat vorgeschlagen, künftig solche großen, von Kritikern heftig umlagerten Konferenzen wie G8-Gipfel nur noch in Drittweltländern abzuhalten – »fern der Kraftzentren negativer Organisationsmechanismen«.

Die Bemerkung verrät frohlockenden Spürsinn für den tragischen Zustand der Welt. Einst, als dem Kapitalismus noch eine kämpfende Welt gegenüberstand, hätte man wohl nicht so bedenkenlos angstfrei genau dort tagen wollen, wo man sehr direkt dem Zorn der Ausgegrenzten begegnet wäre. Es existierte in Afrika und Lateinamerika beträchtliche, sozialistisch angestoßene und exportierte und materiell ausgehaltene Hoffnung auf gesellschaftliche Alternativen. Herrschende fürchteten das, was Beherrschte vorleben könnten: jenen unmittelbaren Zusammenhang von niederer sozialer Lage und daraus kommendem, hohem Rebellionsbewusstsein. Die Idee, die zur materiellen Gewalt wird, wenn ...

Vorbei. Auch die Theorie, so bleibt zu befürchten, ist eine Ware mit überschrittenem Verfallsdatum geworden. Heute kommt Widerstand, wenn überhaupt, weniger von den erstarkenden Rändern als vielmehr aus der bröckelnden Mitte. Nicht von dort, wo alles schon verloren ist, sondern von dort, wo Besitz erst ins Wanken gerät. Die Ärmsten sind die Geduldigsten, die eigentlich Weisen: Was sie von Millionen anderer Menschen unterscheidet, ist letztlich nicht ihre Lage, sondern nur das Tempo, mit dem sie unten, in der Ewigkeit, ankamen. Der große Rest ist nicht besser dran, sondern auf dem Weg.

Was Berlusconi vorschlägt, offenbart den zynischsten Sieg des Kapitalismus: Er kann sich dort am sichersten fühlen, wo er das Meiste nimmt.

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