PLATTENBAU

  • Michael Saager
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Interview sagte der Norweger Erlend Oye, Kopf der Kings of Convenience und seit ein paar Jahren Sänger und Gitarrist von The Whitest Boy Alive, er sei privat auf der Suche nach der Regel von zeitloser Gültigkeit, was an einen Physiker auf der vergeblichen Suche nach der Weltformel erinnert.

Für ihr zweites Album »Rules« verabredete die Band, die zu Dreivierteln aus Berlin kommt, vor allem pragmatisch-produktive Regeln, Regeln musikalischer Selbstbeschränkung. Etwa: Vier Jungs in einem Raum, nicht mehr, die Aufnahme der Platte live, jeder Song in einem Take; kein Hinzufügen von Dingen, die von der Band nicht im Konzert umgesetzt werden können. Es sind allerdings nicht so sehr diese Regeln, die dazu geführt haben, dass The Whitest Boy Alive nach ihrem schönen Debüt »Dreams« von 2006 ein nicht minder schönes Zweitwerk eingespielt haben. Denn musikalische Erfahrung und ein nuanciertes Gespür für einfache, aber effektvolle Melodien, der Soul, der in »Rules« steckt, oder so etwas Diffuses wie eine gemeinsame Vision von Musik, lassen sich nicht einfach so regeln.

Darüber, wie sich hippe Popmusik der Gegenwart anhören könnte, haben sich zuletzt Animal Collective aufs Neue ein paar kluge Gedanken gemacht. Was Franz Ferdinand – vor ihrem angestrengten Ritt durch sämtliche Musikgenres – offenbar nicht gelang. Bei den Amerikanern schält sich aus dem überwältigenden Potpourri der Zutaten rasch eine in sich schlüssige Idee postpsychedelischen Pops; bei den Schotten bleiben die Zutaten fahl und verbinden sich nie zu etwas Zwingendem. The Whitest Boy Alive wiederum hatten bereits auf »Dreams« einen durchaus zeitgemäßen und klug eingegrenzten Plan an der Hand. Für »Rules« haben sie ihn mit einiger Strenge konkretisiert.

Er hat mit der Sozialisation der Musiker durch den Club, mit ihrer hohen Affinität zu House und Techno der filigraneren Spielart zu tun und ist im Grunde ganz simpel, deshalb aber nicht weniger originell, denn so freundlich, lässig und deep macht's sonst niemand. »Rules« überträgt die Idee loopbasierter Musik auf die Band, die sie möglichst schnörkellos mit echten Instrumenten nachspielt, nicht zuletzt, um die Konzertbesucher zum Tanzen zu bringen. Eigentlich ist Musik, wie sie unser Quartett produziert, ein fast schon unsinniger Luxus, denn den Referenzsound – fabriziert mit der adäquaten Computersoftware, durch Kompressoren gejagt, aufgeblasen, damit man sich seiner spätnachts im Club keine Sekunde entziehen kann – gibt es ja bereits.

Andererseits macht gerade die begrenzte Funktionalität des Ansatzes von The Whitest Boy Alive einen Teil des Charmes von »Rules« aus. Und während das Schlagzeugspiel Sebastian Maschats auf »Dreams« noch nah an Indiepop-Taktkonventionen war, ist auf »Rules« meist ein höchst reduziertes und dennoch sehr tightes Trommeln von leichter Hand zu hören, das stark an die Hi-Hat-betonte Rhythmik New Yorker, Detroiter und Chicagoer Housetracks erinnert, stellenweise aber auch an den betont spröden Funk disconaher No-Wave- oder Postpunkbands wie ESG. Dazu groovt angemessen diskret Marcin Öz' Discobass und erzeugt leicht hüpfende, immer freundliche Melodien.

Eine der Regeln, der The Whitest Boy Alive bereits auf »Dreams« folgten, lautet sinngemäß: Spiele niemals, was dein Nachbar gerade spielt. Das sorgt auf »Rules« für eine hörenswerte Mehrstimmigkeit, weil insbesondere Gitarrist Oye und Keyboarder Daniel Nentwig ein teils deutlich aufeinander bezogenes, dann wieder voneinander wegdriftendes, häufig wie improvisiert klingendes Spiel spielen. Wenn Nentwig warme Synthieflächen erzeugt und ein paar Akkord- oder Tonfolgen von Rockers Hi-Fis »Push Push« oder DJ Rolandos »Jaguar« zitiert bzw. variiert, dann kann man sicher sein, dass Oye darüber sein variantenreiches und glasklares Gitarrenspiel anstimmt, das die Form von Ellipsen annimmt. Dazu Oyes akusmatische, ätherisch verspulte Stimme aus ihrem ganz eigenen Melodienkosmos – und fertig ist eine der bei aller Schlankheit und Übersichtlichkeit vollkommensten, ausdifferenziertesten und zauberhaftesten Platten, die man sich vorstellen kann.

The Whitest Boy Alive: »RULES« (Bubbles Records/Groove Attack)

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal