Revanche für einen »Betriebsunfall«

SPD-Kandidat für Kieler Oberbürgermeisteramt nimmt die Stadt gleich im ersten Versuch

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Pressesprecher von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück versetzt die Sozialdemokraten in Glücksstimmung: Seit Sonntagabend steht fest, dass Torsten Albig neuer Kieler Oberbürgermeister wird.

Schleswig-Holsteins SPD-Landesvorsitzender Ralf Stegner kann sich bestätigt fühlen: Vor der OB-Wahl in Kiel sprach er von einem »Betriebsunfall«, dass Angelika Volquartz 2003 nach 57-jähriger SPD-Regentschaft Stadtoberhaupt in der Fördestadt wurde. Das Ergebnis wurde am Sonntag exakt um 20 Uhr von Wahlleiter Dieter Kurbjuhn verkündet: Auf Albig entfielen 52,01 Prozent der Stimmen, auf Amtsinhaberin Volquartz 42,20 Prozent und auf Raju Sharma (die Linke) 6,78 Prozent. Die eigentliche Überraschung war, dass Albig die absolute Mehrheit erzielte und damit in zwei Wochen nicht mehr in eine Stichwahl muss. Damit wird es zugleich zeitlich eng für ihn bis zum Amtsantritt im Juni, denn derzeit ist Albig noch Sprecher bei Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD).

Stegner frohlockte: »Für die bevorstehenden Wahlkämpfe ist dieser Sieg ein starker Rückenwind.« Während er bereits eine Wechselstimmung im Land ausmachte, hielt im Lager der CDU Katerstimmung Einzug. Offenbar hat sich die Partei verpokert, indem sie für ihr Bundesvorstandsmitglied Volquartz (62) einen Persönlichkeitswahlkampf führte. Lächelndes Konterfei der früheren Realschullehrerin ganz ohne CDU-Logo auf den Plakaten, keine scharfen inhaltlichen Akzente, keine Attacken gegen die Mitbewerber – zu sehr hatte man sich auf den so genannten Amtsinhaberbonus verlassen.

Die FDP stand an Volquartz' Seite, bot keinen eigenen Kandidaten auf. Der Kieler Kreisvorsitzende der Liberalen und Landtagsabgeordnete Heiner Garg hadert nun mit der vermeintlich fehlenden landespolitischen Ausstrahlung der Kandidatin. Garg warf zudem dem CDU-Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen sowie seinem Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) ein »miserables Krisenmanagement« im Falle der finanziell schwer angeschlagenen HSH Nordbank vor.

»Püppi« Volquartz, wie die CDU-Landesvizevorsitzende auch genannt wird, zeigte sich enttäuscht. Viele Wähler seien zu Hause geblieben, weil sie vor der Wahl öffentlich als vermeintliche Favoritin gehandelt wurde. In 18 Stadtteilen hatte sie nur dreimal vor Albig gelegen, und allein im Seglerrevier Schilksee landete sie über 50 Prozent. Zu einer inhaltlichen Selbstkritik war bei der CDU indes niemand bereit. Bündnis 90/Grüne und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) hatten Albig unterstützt. Bis 2008 noch schwarz-grün regiert, führt seit den vergangenen Kommunalwahlen eine Koalition von SPD, Grünen und SSW die Geschicke der Stadt.

Ein Moment am Wahlabend im Kieler Rathaus stach besonders ins Auge: Der Wahlsieger und der Kandidat der LINKEN, Raju Sharma, umarmten sich wortlos: So zollten sich zwei Juristen ihren gegenseitigen Respekt für einen fair geführten Wahlkampf. Überhaupt wurde Sharma überall attestiert, eine sympathische persönliche Note zu hinterlassen. Seine ehrliche, ruhige und vertrauensvolle Art sorgte auch dafür, dass man sich bei der LINKEN insgeheim mehr Stimmen erhofft hatte.

Mit nur 36,5 Prozent fiel die Wahlbeteiligung auf ein historisches Tief. In sozialen Problemvierteln gaben teilweise nicht einmal 20 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. »Das belegt, dass diese Menschen sich von den großen Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Wir brauchen eine grundlegende Demokratisierung der Gesellschaft und eine konsequente Armutsbekämpfung, um diesen Trend umzukehren«, sagte Cornelia Möhring, LINKEN-Vorsitzende in Schleswig-Holstein, die sich in ihrer Partei um Listenplatz eins für die anstehende Bundestagswahl bemüht.

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