Der Juniorchef

Radsport: Linus Gerdemann hat im Team Milram eine Hauptrolle übernommen

  • Tom Mustroph, Loreto
  • Lesedauer: 3 Min.

Maria hat geholfen. Über Loreto, dem Startort des sonntäglichen Zeitfahrens beim Tirreno Adriatico, prangt die steinerne Stadt des wichtigsten und größten Marienheiligtums Italiens. In mächtige Mauern eingeschlossen ist ein reich verziertes Gebäude, das der Überlieferung nach das Heim der Gottesmutter Maria in Nazareth gewesen ist und im 13. Jahrhundert von Kreuzfahrern nach Italien

gebracht wurde. Zu Füßen des Heiligtums tummelten sich am Sonntag buntgekleidete schmächtige Männer, die aus ebenso bunten Bussen auf farbige Rennräder stiegen. Ins erhabene Glockengeläut vom Berge mischten sich die profanen Töne des Rennalltags. Die Atmosphäre war bizarr.

Dem größten deutschen Rundfahrttalent Linus Gerdemann (Milram) mag sie geholfen haben. Fast genau vor einem Jahr war der junge Mann, damals noch bei Team Columbia unter Vertrag, schwer gestürzt. Er hatte sich – ebenfalls beim Zeitfahren – einen doppelten Beinbruch zugezogen und war eine halbe Saison lang ausgefallen.

Beim aktuellen Zeitfahren des Tirreno Adriatico hat er auf dem Rad sitzend das Ziel erreicht. Die Zeit war zwar weniger gut als erhofft. Fast eine Minute mehr als der Sieger Andreas Klöden hatte er gebraucht.

Sein Ziel bei der siebentägigen Etappenfahrt, die heute endet, mindestens auf Platz Fünf zu gelangen, kann er aber noch erreichen. »Ich muss hier nicht gewinnen. Ohne Ambitionen bin ich jedoch nicht hergekommen«, erklärt er.

Sein großes Ziel ist die Tour de France. »Bis dahin möchte ich ein paar gute Ergebnisse einfahren. In anderen Rennen werde ich mich in den Dienst meiner Mannschaftskollegen stellen, damit die mich dann bei der Tour unterstützen«, blickt er voraus.

Der 26-Jährige ist gereift. Bei Team Milram hat er eine Hauptrolle übernommen. »Bei uns hat er sich in die Mannschaft einfügen müssen. Es gab harte Konkurrenz und er musste auch Helferdienste übernehmen. Bei Milram hingegen ist er Kapitän«, blickt Valerio Piwa, Gerdemanns früherer Sportlicher Leiter bei Columbia, ein wenig bedauernd auf den Weggang seines Schützlings zurück.

Aber Gerdemann hat den Sprung in eine verantwortungsvollere Position bewusst gewählt. Er will jetzt die Erfolge holen, die seinem Potenzial entsprechen. Wann er die Tour de France gewinnt, mag er zwar nicht verraten. »An solchen Spekulationen beteilige ich mich nicht«, sagt er. Seiner Aufgabe ist er sich allerdings bewusst.

Bei großen Rundfahrten ist er im Milram-Lager der Chef. Mit Interesse hat Gerdemann den Einbruch von Alberto Contador bei der parallel stattfindenden Fernfahrt Paris – Nizza beobachtet. »Contador ist menschlich geworden«, konstatiert er. Für Linus Gerdemann, drei Monate älter als Alberto Contador, führt der Weg zu einer großen Karriere nur über den bislang unbezwingbar wirkenden Spanier.

Andreas Klöden hat unterdessen mit seinem Zeitfahrsieg vom Sonntag angedeutet, dass er im Astana-Team – in Abwesenheit der drei Teamstars Contador, Lance Armstrong und Levi Leipheimer – nicht nur Edelhelfer, sondern auch Siegfahrer sein kann.

44. Rad-Rundfahrt Tirreno-Adriatico (Italien) Gesamtwertung: 1. Scarponi (Ita/Diquigiovanni) 23:27:36 std., 2 Garzelli (Ita/Acqua Sapone) +0:25, 3. Klöden (Kreuzlingen/Astana) 1:07, 4. Lövkvist (Swe/Columbia) 1:10, 5. Basso (Ita/Liquigas) 1:13.

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