nd-aktuell.de / 21.03.2009 / Wissen / Seite 21

Wettlauf der Physiker

Wer entdeckt zuerst das Higgs-Boson?

Martin Koch

Im Standardmodell der Elementarteilchenphysik spielt es schon seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle. Gefunden allerdings hat es bislang niemand: das sogenannte Higgs-Boson, das scherzhaft auch als »Teilchen Gottes« bezeichnet wird. Denn gäbe es das 1964 von dem britischen Physiker Peter Higgs postulierte Boson nicht, hätten zum Beispiel Protonen, Neutronen und Elektronen keine Masse. Diese entsteht erst, wenn jene ursprünglich masselosen Teilchen das Higgs-Feld durchqueren und dabei mit den Austauschquanten des Feldes, den Higgs-Bosonen, interagieren. Masse ist demnach keine fundamentale Eigenschaft von Teilchen, wie lange angenommen, sondern gleichsam ein Nebeneffekt materieller Wechselwirkungen.

Eine elektrische Ladung hat das Higgs-Boson nicht. Es besitzt jedoch selbst eine Masse, die Berechnungen zufolge zwischen 114 und 185 Gigaelektronenvolt (GeV) liegt. Zum Vergleich: Ein Proton bringt es nur auf 1 GeV. Bis vor kurzem deuteten Experimente darauf hin, dass die Higgs-Masse etwa 160 GeV beträgt. Dieser Wert muss jetzt aber revidiert werden. Denn am Tevatron-Teilchenbeschleuniger des Fermilab in Chicago haben deutsche Forscher klare Hinweise darauf gefunden, dass die Masse des Higgs-Bosons geringer ist und nahe der 114-GeV-Grenze liegt. Zwar wisse man nun genauer, wo Higgs zu suchen sei; doch damit werde die Jagd auf das Teilchen keineswegs leichter, sagt Stefan Tapprogge vom Institut für Physik der Universität Mainz, der an der Durchführung des jüngsten Fermilab-Experiments beteiligt war. Seine Skepsis begründet er so: »Higgs-Teilchen mit kleinerer Masse sind am Tevatron schwieriger nachzuweisen.« Gleichwohl geht die Suche nach dem »Gottesteilchen« unvermindert weiter. Nicht nur in Chicago, auch am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf, wo Tapprogge und seine Kollegen ebenfalls an einem Experiment mitwirken. An beiden Orten ist man übrigens bemüht, Higgs-Bosonen dadurch zu erzeugen, dass man Protonen mit Protonen bzw. Antiprotonen kollidieren lässt.

Während aber das Tevatron auf Hochtouren läuft, wird der »Large Hadron Collider« (LHC), das Prunkstück des CERN, wegen einer Havarie im Kühlsystem derzeit repariert. Erst gegen Ende des Jahres sollen Experimente hier neue Daten liefern. Dabei waren die Cernianer 2008 noch guter Hoffnung, das Higgs-Teilchen spätestens bis September 2009 im LHC aufzuspüren. Die nun eingetretene Verzögerung ist für die europäischen Kernforscher auch deshalb besonders ärgerlich, weil nur der LHC die Möglichkeit bietet, im gesamten Massenbereich nach dem Higgs-Boson zu suchen. Doch selbst wenn die Amerikaner den Europäern bei der Entdeckung des letzten hypothetischen Teilchens aus dem Standardmodell zuvorkommen sollten, in einem Punkt sind sich Tapprogge und seine Kollegen einig: »Der wirkliche Nachweis und die weitergehenden Untersuchungen werden erst am LHC möglich sein.«