Wohnzimmer und Weltkulturerbe

Petra, die faszinierende Totenstadt der Nabatäer, scheidet die Geister

  • Rainer Heubeck
  • Lesedauer: 8 Min.
Ghassab Al-Bedoul
Ghassab Al-Bedoul

»Petra ist der herrlichste Ort der Welt«, so schrieb Thomas Edward Lawrence, besser bekannt unter dem Namen Lawrence von Arabien, einst in seinem Buch »Die sieben Säulen der Weisheit«. Damals war Petra, die rosa- und rostrotfarbene Felsenstadt in Jordanien, die früher die Hauptstadt des Volkes der Nabatäer war, in Europa noch weitgehend unbekannt. Das hat sich mittlerweile gründlich geändert: Im Jahr 1985 wurde Petra zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt und im Juli 2007 zu einem der sieben Weltwunder der Gegenwart auserkoren.

Als Tourismus noch kein Geschäft war

Petra – der schönste Ort der Welt. Diese Auffassung hat auch die Familie Al-Bedoul, eine Beduinengemeinschaft, die jahrhundertelang in den Felshöhlen von Petra gelebt hatte, bevor sie im Jahr 1985 von der jordanischen Regierung umgesiedelt wurde. Seither haben die Al-Bedouls zwar elektrisches Licht und feste Steinhäuser – aber immer noch viel Sehnsucht nach der Felsenstadt Petra.

»Im Jahr 1992 sind wir nach Petra zurückgegangen und haben wieder in unseren Höhlen gewohnt«, blickt Ghassab Al-Bedoul zurück, der 1976 in einer Wohnhöhle in der Felsenstadt Petra geboren wurde. Nach knapp drei Monaten seien die Al-Bedouls wieder in ihr von der Regierung gestelltes Ausweichdorf Oum Sayoum zurückgegangen – weil ihnen versprochen worden war, dort neue, zusätzliche Häuser für ihre Nachkommen zu errichten. »Doch 2001 kam es dann zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei, weil ein Hausbau geräumt werden sollte, dabei sind drei Menschen ums Leben gekommen«, berichtet Ghassab, der enttäuscht ist, dass die Ausweichquartiere nicht an den Lebensstil der Beduinen angepasst wurden.

»Als wir hierher umgesiedelt wurden, gab es keinen Platz für unsere Esel und Kamele. Die Tiere liefen durch den Ort und schrien, so dass niemand mehr schlafen konnte«, erklärt Ghassab, der mit seiner achtköpfigen Familie in zwei einfachen Zimmern wohnt. »Wir haben in Petra viel besser gelebt als hier, wir hatten dort unsere Ruhe, und jeder Stamm hatte seinen eigenen Bereich.« Als die Al-Bedouls noch in Petra lebten, hatten sie dort alles, was sie brauchten. »Wir hatten zwar keine Strom, sondern Öllampen, und wir haben mit Holz gekocht, aber das Essen schmeckte damals besser als jetzt. Und wir hatten in den Höhlen auch Schulen. Bis zur 6. Klasse wurden die Kinder dort unterrichtet, danach konnten sie nach Wadi Musa.«

Tourismus, das war für die Al-Bedouls damals kein Geschäft, sondern Begegnung und Austausch. »Die Besucher sind bei uns geblieben, ohne dass wir dafür Geld verlangt haben«, erinnert sich Ghassab. »Heute wollen die meisten Besucher nur die Fassaden anschauen, ohne dass es zu Kulturaustausch und zu menschlicher Begegnung kommt. Das ist für uns eine Art Beleidigung«, beteuert er. »Die Regierung«, klagt er, »hat uns unsere Freiheit genommen, und sie hat uns unsere historische Stadt weggenommen.«

Dennoch ist die Familie Al-Bedoul mit Petra noch immer eng verbunden. »Mein Vater steht jeden Morgen um 6 Uhr auf und geht nach Petra und abends um 18 Uhr, wenn es dunkel wird, kommt er wieder zurück. Hier im Ort ist er hingegen bis heute nicht heimisch geworden«, versichert Ghassab, der mittlerweile ein kleines Reiseunternehmen betreibt, das Wandertouren anbietet, auf denen die Besucher den beduinischen Lebensstil erfahren können. Auch seine 15-jährigen Neffen Achmed und Mohammed sind bereits im Tourismusgeschäft – sie verdingen sich als Eseltreiber.

Die Höhlen waren den Toten vorbehalten

»Bis zum Jahr 1812, als der Schweizer Jean Louis Burckhardt, zufällig die Stadt gefunden hatte, kannte nur die Al-Bedoul-Familie Petra«, berichtet Raef Hindawi, der längere Zeit in Heidelberg gelebt hat und regelmäßig Gruppen durch die faszinierende Felsen- und Gräberstadt führt. Nach dem Betreten des Ortes, vor dem ein Kiosk daran erinnert, dass Steven Spielbergs Film »Indiana Jones und der letzte Kreuzzeug« aus dem Jahr 1989, den ohnehin aufkommenden Petra-Boom noch einmal richtig anheizte, führt Raef seine Gäste erst einmal durch eine 1,2 Kilometer lange Felsenschlucht, die zum Teil nur zwei Meter breit ist. Die Wände rechts und links des sogenannten Suqs ragen rund siebzig Meter nahezu senkrecht in die Höhe. »Petra hatte drei Eingänge«, sagt Raef Hindawi, »diese Schlucht und zwei Wege, die von den Bergen her führten und die von Wachtürmen aus kontrolliert werden konnten.« Denn die Nabatäer, die sich etwa 500 v. u. Z. im Ostjordanland und in der Region um Petra ansiedelten, waren ein stolzes und geschäftstüchtiges Volk, das den Karawanenhandel an der Weihrauchstraße kontrollierte und sehr wohlhabend war.

»Obwohl es viele andere arabische Stämme gibt, die die Wüste als Weide nutzen, übertreffen sie die anderen bei Weitem an Reichtum, obwohl sie nicht viel mehr als 10 000 zählen, denn nicht wenige sind gewohnt, Weihrauch und Myrrhe und auserlesene Gewürze zum Meer zu bringen«, schrieb der griechische Historiker Diodor im 1. Jahrhundert v. u. Z. Die Höhlen von Petra waren in der Zeit der Nabatäer den Toten vorbehalten, denn Häuser für Lebende lehnte das Nomadenvolk ab. »Es gibt drei Arten von Gräbern in Petra«, weiß Raef Hindawi, »große Gräber für die Könige und die VIPs der Nabatäer, Soldatengräber und Gräber für die armen Leute.«

Der wohl beeindruckendste Grabbau ist der Khazne Al-Firaun, wörtlich übersetzt »Schatzhaus des Pharaos«. In Spielbergs »Indiana Jones« war die fast 40 Meter hohe und 25 Meter breite in roten Sandstein gehauene Anlage, vor deren Eingang sich sechs Säulen im hellenistischen Stil finden, ein geheimnisvoller Tempel, in dem der Gralsbecher aufbewahrt wurde. Welcher Nabatäerherrscher in dem gigantischen Felsengrab beigesetzt wurde, ist unter Historikern umstritten. »Viele Wissenschaftler vermuten, dass hier König Aretas IV. (etwa von 9 v. u. Z. bis 40 n. u. Z.) begraben wurde«, berichtet Raef Hindawi. Während die meisten Nabatäergräber, die zum Teil als Block-, Treppen- oder Zinnengräber errichtet wurden, von den Historikern leer gefunden wurden, brachten Grabungen im Schatzhaus im Jahr 1995 neun Kinderschädel und zwei Kilogramm Weihrauch zu Tage – und warfen für die Wissenschaft damit wieder neue Fragen auf.

Raef Hindawi drängt zum Aufbruch. Schließlich warten noch die Monumentalgräber an der Königswand, ein römisches Theater und ein Museum. Nach dem Mittagessen schlägt er vor, einen Totenpalast zu besuchen, der oberhalb der sonstigen Grabanlagen angelegt wurde und den Namen Ed-Deir (Kloster) trägt, weil sich im Mittelalter darin Mönche niedergelassen hatten. Der etwa 45-minütige Aufstieg lohnt sich: Der 40 Meter hohe und fast 50 Meter breite Felstempel, auf dessen Spitze eine neun Meter hohe Urne thront, ist ebenso überwältigend wie der Khazne Al-Firaun.

Petra – das sind 920 Gräber und ebenso viele Mysterien, dazu Tempel und Opferstätten für den Nabatäergott Dushara sowie später angelegte römische Bauten. Petra ist aber auch ein natürliches Gesamtkunstwerk aus bizarren Felsen, rotem und rosafarbenem Sandstein, Schluchten und Hügeln. Obwohl Petra die Hauptstadt eines Königreichs war, das in seinen besten Zeiten von der Sinai-Wüste bis nach Damaskus reichte, lebten hier nie mehr als 40 000 Menschen.

Gefahren, die aus der Neuzeit kommen

Römerherrschaft, Kreuzzüge, Erdbeben – all dies hat die Gräberstadt überdauert. Nun droht ihr eine neue Gefahr – ein überbordender Tourismus, der noch reichlich unkanalisiert verläuft. »Es gibt keine festen Wege für die Touristen, die Leute können gehen, wo sie wollen. Manche Besucher ritzen ihre Namen in die historischen Stätten, an anderen Stellen werden Steine aus den Gräbern geschlagen und an Touristen als Souvenirs verkauft«, ist der Archäologe Saad Twaissi entsetzt, der sich strengere Regelungen und einen besseren Schutz des Welterbes wünscht. Gefahr droht der Stadt noch aus einem anderen Grund: Die Nabatäer waren Meister des Wasserbaus, und sie organisierten ein faszinierendes Be- und Entwässerungssystem für die Stadt, das es unter anderem ermöglichte, vor jedem Familiengrab einen Garten anzulegen. Die Wasserrinnen sind in der Felsschlucht nach dem Eingang in die Stadt noch teilweise zu sehen. Heute ist das Wassersystem nicht mehr funktionsfähig, so dass die Stadt nun von flutartigen Überschwemmungen und Erosion bedroht wird.

Schärfere Regelungen für Petra – für Ghassab Al-Bedoul klingt das eher wie ein Albtraum. »Als wir aus Petra vertrieben wurden, hat man uns versprochen, dass wir zumindest noch in der Stadt arbeiten können, aber auch das ist jetzt nicht mehr sicher.« Mag die Felsenstadt für andere vor allem ein schützenswertes Weltkulturerbe sein, für Ghassab ist sie vor allem Geburtsort und früheres Wohnzimmer: »Wir Al-Bedouls haben alle im Kopf, wieder dorthin zurückzukehren. Und vielleicht machen wir das schon bald.«

  • Infos: Fremdenverkehrsamt Jordanien, c/o Kleber PR Network GmbH, Hamburger Allee 45, 60486 Frankfurt am Main, Tel: (069) 71 91 36 62, E-Mail: germany@visitjordan.com, www.visitjordan.com
  • Anreise: Seit dem 24. Oktober 2008 fliegt Royal Jordanian täglich zu angenehmen Tagesflugzeiten ab Frankfurt nach Amman. Weitere Informationen unter www.rj.com.
  • Einreise: Der Reisepass muss bei Einreise noch mindestens sechs Monate gültig sein. Das Visum wird auch an der Grenze ausgestellt, außer bei Einreise über die King-Hussein-Brücke aus der Westbank.
  • Beste Reisezeit: März bis Mai sowie Oktober bis November
  • Angebote: FTI hat eine einwöchige Rundreise im Angebot, die einen Besuch der Totenstadt Petra mit einem Aufenthalt auf der Sinai-Halbinsel verbindet. Infos: www.fti.de, Tel. (01805) 38 45 00
Petra wird heute von Touristen aus aller Welt besucht, und die bringen viele Gefahren für das Erbe mit.
Petra wird heute von Touristen aus aller Welt besucht, und die bringen viele Gefahren für das Erbe mit.
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