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  • Thema: Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien

Blut und Tränen

Die Grünen, der Kosovo-Krieg und heute

  • Robert Zion
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Kosovo-Krieg war völkerrechtswidrig und als solcher ein Fehler. Aber, ob es der Linken gefällt oder nicht, dies war nun einmal die historische Situation. Gerade Linke, deren Hauptmerkmal es ist, politische Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen unter dem Blickwinkel historischer Prozesse zu betrachten, sollten dies wissen. Was Joschka Fischer die »Rückkehr der Geschichte« genannt hat, war mit dem Kosovo-Krieg wohl eher eine für die Grünen geradezu brutale Ankunft als Akteur in dieser Geschichte.

Und bei der Geschichte, das schreibt Michel Foucault in seiner ernüchternden Historie des Krieges, geht es eben nicht darum, diese »als eine oberflächliche Gegebenheit zu begreifen«, sondern darum, »das in den Gesetzbüchern eingetrocknete Blut und nicht das Absolute des Rechts in der Flüchtigkeit der Geschichte ..., unterhalb der Formel des Gesetzes das Kriegsgeschrei, unterhalb des Gleichgewichts der Gerechtigkeit die Asymmetrie der Kräfte wiederzufinden«.

Tatsächlich mussten die Grünen dieses endlose, dreckige Kriegsgeschrei der Geschichte sehr schnell und nahezu unvermittelt begreifen, denn 1998 hatten sie eine parteihistorische Entscheidung getroffen, vor der früher oder später jede linke Partei steht: Regierungsbeteiligung statt Fundamentalopposition und damit verantwortungsethischer Pragmatismus statt gesinnungsethischer Rigorismus. Vorbei war es mit theoretischen Betrachtungen aus dem linken Salon, mit dem Hochhalten utopischer Fernziele und der hochmoralischen Haltung. Der Kosovo-Krieg war für die Grünen eine widerliche Einführung in die historischen Mechanismen des Krieges, der Lüge und der Macht.

Jemand wie der Parteilinke Ludger Volmer ahnte den bevorstehenden Abstieg aus moralischen Höhen in dieses »dunkle und manchmal blutige Gewimmel« (Foucault) bereits vor der Regierungsbeteilung: »Doch bisher standen noch hinter jedem außenpolitischen Wandel die sozioökonomischen und politisch-kulturellen Interessen namenloser Massen.« Der Realo Fischer begnügte sich seinerzeit wie heute mit gebetsmühlenartigen Hinweisen auf »die Realität«. Dazwischen standen ratlos und in nicht lösbaren Konflikten gefangen die Masse der Partei und Figuren wie Antje Radcke, damals Parteisprecherin, die angesichts der dramatischen Entscheidungen jener Tage gestand: »Als erster lief mir mein persönlicher referent über den Weg. Wortlos zog ich ihn mit mir in mein Büro und heulte mich erst einmal aus!«

Nun sind weder Volmer noch Fischer und Radcke noch für die Grünen aktiv und es wäre zu leicht, ihnen und der Partei seinerzeit nun in üblicher linker Manier den »Verrat« anzuhängen. Dieser Krieg wurde nicht wegen Rot-Grün geführt sondern mit ihnen. Die Entscheidungen fielen woanders, kühl mitgeteilt von Madeleine Albright in einem Telefonat mit den Worten: »We bomb.« Die Entscheidung, die die Grünen trafen, lautete banal: mit uns, für den Nachweis der Regierungsfähigkeit und gegen die ewige Opposition. Darum auch drohte Fischer parteiintern mit seinem Rücktritt.

Die Geschichte des Kosovo-Krieges muss hier gar nicht nacherzählt werden, sie reicht weit, sehr weit zurück. Da geht es auch um die falsche Anerkennungspolitik der Regierung Kohl/Genscher auf dem Balkan, um den Vorratsbeschluss des Bundestages noch vor der Regierungsübernahme durch Rot-Grün, um das sich an der Nase herumführen lassen durch die rechten Nationalisten der UCK. Rot-Grün hat hier nur noch exekutiert, in weiten Teilen auch die Selbstsicherheit ihrer eigenen Ideale. Und darum auch entscheidet sich die Frage, ob die Grünen nun Friedenspartei sind oder nicht, eben nicht an dem, was sie vor dem Kosovo-Krieg gewollt haben, sondern an dem, was sie danach auf Basis der Grundentscheidung des Mitregierens und des begangenen Völkerrechtsbruchs weiterhin unterlassen oder tun: »Nur wer sicher ist, dass er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, dass er all dem gegenüber: ›dennoch!‹ zu sagen vermag, nur der hat den ›Beruf‹ zur Politik«, schrieb Max Weber.

Und gerade weil die Grünen Fehler gemacht, den Krieg, die Lüge und die Macht auch untereinander ausgetragen haben, desillusioniert und danach auch weniger wurden und daran eben nicht zerbrochen sind, waren und sind sie eine linke Partei. Auch nach den Fehlern der Agenda 2010 und Hartz IV. Und wer dies nicht (mehr) glauben mag, der lese bitte die Parteibeschlüsse von Göttingen, Nürnberg und Erfurt zur Außen-, Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik. Und aus grüner Sicht geht es daher auf der Gesamtlinken heute nicht mehr plump um »Raus aus Afghanistan!« oder »Hartz IV muss weg!« Nach dem Zusammenbruch des Neoliberalismus stehen eine armutsfeste, repressionsfreie Grundsicherung, steuerliche Umverteilung von oben nach unten, Mindestlöhne und Arbeit, die nicht arm macht, internationale Solidarität, die Überwindung der Ausplünderung von Mensch und Natur zur Profitmaximierung und eine Beendigung des Krieges in Afghanistan und ein verantwortbarer Rückzug zur Diskussion.

Das Land braucht linke Korrekturen und einen demokratischen Neuaufbruch. Und damit stellt sich die altbekannte, für Linke so schwierige Entscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik für andere als die Grünen erneut. Die Zeit für Rot-Grün-Rot, heißt das, wäre jetzt. Und ob es der Linken – die, die sich so genannt hat, oder die, die es parteiübergreifend ist – gefällt oder nicht, dies ist nun einmal die historische Situation.

Robert Zion ist Grünen-Politiker aus Nordrhein-Westfalen

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