Boom in der Versicherungswirtschaft

Die Assekuranz antwortet auf die Finanzkrise mit einer zweifelhaften Produktoffensive

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Versicherungswirtschaft reagiert flott auf die Finanzkrise: Ihre Antwort ist eine Flut neuer Produkte. Skifahrern, Rentnern und ausgerechnet Existenzgründern werden neue, komplexe Policenpakete angepriesen. Verbraucherschützer fordern stattdessen eine einfache Basisversorgung.
Noch wird es nicht düster für die Versicherungen.
Noch wird es nicht düster für die Versicherungen.

Auch an der Versicherungswirtschaft zieht die Finanzkrise nicht spurlos vorüber. Doch haben die Sicherheitsverkäufer – gesetzlich gehindert – weit weniger riskant spekuliert als die Banken. Ihre Kapitalanlagen sind breiter gestreut und damit weniger krisenanfällig. Trotzdem leidet auch die Assekuranz unter der Finanzkrise, brechen ihr doch die gewohnten Renditen teilweise weg. Seit Langem trugen die über eine Billion Euro schweren Kapitalanlagen (2008: 1175 Milliarden Euro) weit stärker zum Gewinn bei als das eigentliche Versicherungsgeschäft.

Auch das zweite Standbein, Lebensversicherungen und private Renten, bröckelt mittlerweile und so besinnt sich die Branche um den Primus Allianz auf die ursprüngliche Schaden- und Unfallversicherung. Dieser Geschäftsbereich wurde lange nur gelitten, denn die Ergebnisse waren im Vergleich zu Kapitalanlagen und Lebens-Policen mager. Trotzdem blieben 2008 unterm Strich bei der Allianz SE von den Prämieneinnahmen für Schaden und Unfall von 43,4 Milliarden Euro immerhin 5,6 Milliarden Euro als Gewinn hängen. Boss Michael Diekmann will nun die Anstrengungen darauf konzentrieren, den Kunden Produkte anzubieten, die ihnen langfristige Sicherheit versprechen. »Das ist unser Kerngeschäft.«

Die Allianz ist kein Einzelfall. Knapp 80 Prozent der deutschen Versicherungsmanager erwartet für 2009 eine zunehmende Produktvielfalt. Neue Risiken und geänderte Kundenwünsche sollen zukünftig »schneller und flexibler in neue Versicherungsprodukte einfließen«, ergab eine Studie des Hamburger Beratungsunternehmens PPI. Das Fazit der befragten Manager: Neue Produkte seien »der« Markttrend, viele erwarten sogar »einen regelrechten Boom«.

Typisches Beispiel ist ein Versicherungspaket, das für Skifahrer geschnürt wurde. Es beinhaltet sowohl eine Unfall- und Haftpflichtversicherung als auch Rechts- und Versicherungsschutz bei Skibruch und Diebstahl. Mit ihren neuen Produkten zielt die Branche vor allem auf spezifische Zielgruppen. So stellen die Versicherer Spezialangebote für junge Familien, Senioren oder Existenzgründer zusammen. Gerne werden auch Versicherungsprodukte mit fachfremden Zusatzdienstleistungen aufgepeppt. Solche sogenannten Assistance-Angebote bieten einen Ersatzwagen, juristischen Beistand oder eine Haushaltshilfe.

Bleibt die Frage, wie nützlich die neuen Produkte für die Kunden sind? Ein bunter Strauß verschiedener Produkte kann teuer sein, weil er oft verborgene Kosten in die Höhe treibt. Zudem kauft der Kunde eventuell mehr Versicherung als er benötigt. Lars Gatschke kritisiert ein weiteres Problem: »Die Übersicht zu gewinnen, wird immer schwieriger und der Produktvergleich zwischen mehreren Anbietern wird erschwert.« So werde die Absicht, die der Gesetzgeber mit dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) verfolgte, konterkariert, sagt der Experte des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) in Berlin.

Überfordert sein könnten nicht nur Verbraucher, sondern auch Vermittler und Makler, die nach dem VVG im schlimmsten Fall Schadensersatz zahlen müssten. Verbraucherzentralen fordern daher übersichtliche Verträge, die eine »Basisversorgung« sichern und durch »Einzelkomponenten« erweitert werden können.


Die erste Pleite?

Die Bayerische Beamtenversicherung a. G. (BBV) ist als erster deutscher Versicherer durch die Finanzkrise in Schwierigkeiten geraten, berichtet das »Versicherungsjournal«. Grund soll ein knapp neunprozentiger Anteil an der von der Krise gebeutelten Aareal Bank sein, der die Bayern zu Abschreibungen von bis zu 80 Millionen Euro zwingen könnte. Als »weiße Ritter« werden HUK-Coburg und Signal Iduna ins Spiel gebracht. Die Versicherungswirtschaft war übereingekommen, Problemfälle intern zu regeln, um das solide Image der Branche nicht zu gefährden. hape

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