nd-aktuell.de / 27.03.2009 / Brandenburg / Seite 17

Wo Tucholsky und Ossietzky bei Torte redigierten

Opulenter Bildband porträtiert das Auf und Ab des Familienunternehmens »Café Rabien«

Volkmar Draeger

Was kleine Torten und große Politik verbindet, berichtet in einem handlichen, reich bebilderten Band Wolfgang Bernschein. Unterhaltsam recherchiert hat er die Geschichte eines Schleckertempels, dessen erlesene Kreationen allen Zeiten getrotzt haben. »Das Café Rabien mitten in Preußen« überwölbt 130 Jahre so wechsel- wie verhängnisvoller Historie in mehreren Reichen, steigt auf, geht unter, erblüht neu. Angefangen hat alles mit Nachfahren hugenottischer Flüchtlinge, überwiegend Seefahrern. Einer, Ernst, verunfallt, lernt auf Konditor um, nimmt eine Stellung in Potsdam an. Nach dem Tod des Besitzers kauft er dessen Konditorei am Nauener Tor, baut sie zum florierenden Café aus. Im »Rabien« schlemmen Bürger und Exzellenzen Auguste-Viktoria-Torte und Bismarck-Eiche. 1908 wird Ernst Hofconditor, mit Hohenzollern-Wappen am Haus.

Bebel und Prinzessin Viktoria Luise sitzen unerkannt im Café. Draußen ringen politische Visionen miteinander, drinnen staunen die Gäste über eine Neptungruppe aus Marzipan, ein kaiserliches Segelschiff, einen Zeppelin, alles verzehrbar. Während des Ersten Weltkriegs gelangen Rabiens Süßwaren bis an die Front. Im Café versorgen bald Krankenschwestern Verwundete, machen »Kriegsnotbehelfsrecepte« die Runde, die Inflation verteuert ein Stück Torte auf 10 Millionen Mark. Nach wie vor bestellen die Prinzen im »Rabien«, deren Söhne freunden sich übers Theaterspiel mit den kunstbeflissenen Konditoren-Kindern an. Babelsbergs Schauspieler gehören nun zur Klientel: Otto Gebühr, Lillian Gish. Tucholsky, später Ossietzky redigieren im Café die »Weltbühne«.

Nach Zwangsversteigerung in der Weltwirtschaftskrise ersteht das »Rabien« bescheidener am Brandenburger Tor, ein Jahr, nachdem auch Potsdam braun wird. Neue Uniformen machen sich breit, neue Schauspieler kehren ein: Gustav Fröhlich, Lilian Harvey, die fliehen, Renate Müller, die sich das Leben nehmen wird. Viele Stammgäste gehen ins Exil, andere werden ermordet. Unverdrossen sind zehn Konditoren am Werk, bis der Krieg einberuft. Danach ertauscht man auf dem Schwarzmarkt Kaffeebohnen, Mehl, Zucker, Briketts, beginnt neu. Als die DDR zur Aufgabe des Geschäfts drängt, fliehen die Rabiens 1952 nach Westberlin, putzen eine verwaiste Steglitzer Konditorei heraus. Normalos kommen, ebenso Barlog & Co. aus dem nahen Schlosspark-Theater, Prinz Louis Ferdinand schickt Grußkarten, Stummfilmstar Mia May ordert aus Los Angeles. Meisterstück des erfindungsfreudigen Jung-Konditors Klaus Rabien, heute Fotograf von Rang, wird die »Schwangere Auster« in Zucker und Krokant. Der Mauerbau grenzt die Potsdamer Kunden aus, 1970 bezieht das »Rabien« größere Räume, mit modernisierter Technik, ohne Café, nur noch mit Verkaufsteil für die traditionellen Produkte. Sanssouci-Torte und Schwedencharlotte liefert das »Rabien« auch an Potsdamer Cafés, Spezialkreationen ergötzen Theaterpremieren, Baumkuchen, um Weihnachten über 5000 Stück, gehen bis nach Japan. Dass das »Rabien« selbst wieder in Potsdam eröffnet, sich ein Kreis schließt, scheint denkbar.

Wolfgang Bernschein: »Das Café Rabien mitten in Preußen«, Wolbern Verlag, 2008, 152 S., 110 Abb., gebunden, € 19,80, ISBN 978-3-9811128-0-1