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»Heute ist Abu Dhabi respektiert«

In der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate haben Superlative nicht lange Bestand

  • Manfred Loimeier
  • Lesedauer: 4 Min.
Abu Dhabi, die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, steht zwar noch im Schatten der größeren Metropole Dubai, macht jedoch ebenfalls mit ehrgeizigen städtebaulichen Plänen von sich reden.

Abdul Hassan arbeitet in der Empfangshalle eines Hotels, dessen Name für beste Güte steht. In Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, gibt es gleich drei Gebäude dieser Hotelkette. Eines war sogar das höchste Bauwerk der Stadt. Da in Abu Dhabi aber Wolkenkratzer verblüffend schnell aus dem Boden schießen, hält ein architektonischer Superlativ dort nie sehr lange. »Das Hochhaus gegenüber war lange Zeit das höchste«, erklärt Hassan, »aber dann kamen wir. Jetzt entsteht neben uns ein Neubau, der noch höher werden soll.«

Die Finanzkrise hat Anleger allerdings vorsichtig gemacht oder gar um ihre Liquidität gebracht. Und das bremst den Bauboom auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Gerade 40 Jahre ist es her, dass in den Emiraten Öl gefunden wurde. Damals war dort, wo heute eine stattliche Skyline prunkt, so gut wie nichts. Ein paar Fischerhütten standen am Meer, dahinter begann die Wüste. Die Menschen lebten nomadisch und zogen mit ihren Dromedaren über die sandigen Pisten im einsamen Hinterland.

Von der rapiden Entwicklung, die mit dem Ölfund begann, profitierten jedoch nicht alle. Wer am frühen Morgen durch die Parkanlagen der Corniche vor Abu Dhabis Häuserfront am Meer spaziert, der begegnet in den Anlagen auch schlafenden Menschen. In dünne Decken gehüllte Obdachlose schlafen in prunkvollen Fußgängerunterführungen.

Sieben Kilometer lang erstreckt sich die Küstenfront, bis sie sich zu einer natürlichen Halbinsel formt, die der Stadt vorgelagert ist. Auf dieser Halbinsel entsteht gerade das Marina Village. Ein Einkaufszentrum mit edelsten Boutiquen ragt bereits aus dem Sand, dahinter neue Häuserreihen, davor liegt ein Terrassencafé, in dem zumeist Englisch sprechende Jugendliche beim Telefonieren wie beiläufig erwähnen, dass sie gerade in Abu Dhabi seien. Die Hafenbucht beherbergt einen bewachten Jachthafen, in dem auch überdimensionale Rennboote ankern. Ins nahe gelegene Emirates-Palace-Hotel, ebenso mit eigener Hafenbucht, reisen Gäste per Hubschrauber an, schon das Zugangsportal müht sich, den Triumphbogen in Paris an Prunk zu übertreffen.

»Was halten Sie von der Stadt?« will Hassan wissen, dessen Familie weit außerhalb wohnt – zu hoch sind die Lebenshaltungskosten in der Stadt. Beeindruckend sei das alles durchaus. »Ja?«, leuchten Hassans Augen. Ja schon, aber wer solle alle diese Bauten mit Leben füllen, die noch gar nicht fertiggestellt oder überhaupt erst projektiert sind?

Hinter dem großen Hafen Mina Zayid bietet die Insel Saadiyat gerade den ehrgeizigsten Architekten einen Spielplatz. Frank Gehry plant ein Guggenheim-Museum, Jean Nouvel einen Ableger des Louvre, Tadao Ando entwarf das Maritime Museum, Zaha Hadid das Performing Art Centre. Neue Hotelkomplexe entstehen in einer Mangrovengegend. Die zehnspurige Brücke zur »Kulturinsel« Saadiyat wird in diesem Jahr eröffnet, im November erlebt Abu Dhabi sein erstes Formel-1-Rennen.

Aber wäre das Geld nicht anderswo besser angelegt? In Gesundheit, Bildung und Infrastruktur? So dass das ganze Volk davon profitieren kann? »Ja das Volk«, sagt Hassan, »genau, das Volk.« Die Große Moschee zum Beispiel mit ihren 40 Metern hohen Minaretten wirkt winzig im Vergleich zu den Wolkenkratzern, die sie umstehen – und fromm bescheiden wirkt sie gegen den gigantischen Neubau der Scheich-Zayed-Moschee nahe dem Flughafen. Verschwindend klein wirkt auch das zinnenbewehrte Alte Fort in der Stadtmitte, auch Al-Husn-Palast genannt. Man kann sich kaum vorstellen, dass dieses älteste Gebäude Abu Dhabis einst den Schutz der Stadt und ihrer Wasserquelle sicherte.

Der Widerstreit zwischen Tradition und Moderne, zwischen orientalischen und europäischen Wertmaßstäben zeigt sich augenfällig am Strand. Von Sicherheitskräften geschützt, sehr gepflegt, mit breitem Grün, noch breiterem Sandstreifen und türkisfarbenem Wasser, sind die Abschnitte des Abu Dhabi Beach unterteilt: in einen Strand nur für Männer, einen nur für Frauen und einen nur für Familien. Dazwischen stehen zum Sichtschutz hohe, verkleidete Absperrgitter.

Im Eingangsbereich des kostenpflichtigen Strandes pulst moderner Pop aus den Lautsprechern der Bars, singen westlich leger gekleidete Serviererinnen den Text zu den Melodien der Hits, während Gruppen verschleierter Frauen vorbeipromenieren. Manche Männer sitzen in Hemd oder T-Shirt am Tisch, andere tragen Anzug, wieder andere die arabische Djellaba. »Ja«, sagt Hassan, »mehr Geld für das Volk selbst wäre schon nicht schlecht. Aber all das hier, die Hochhäuser und Hotels, das Glas und der Beton, das hat uns Respekt gebracht. Bisher waren wir in den Augen der Welt nur Wüste, heute sind wir respektiert!« Recht hat er, durchaus, aber was für ein hoher Preis für eine möglicherweise rasch verfliegende fragwürdige Aufmerksamkeit?

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