Das reine, stille Dasein

Holzrisse und Malerei von Werner Wittig in Dresden

  • Gert Claußnitzer
  • Lesedauer: 4 Min.
»Unsterbliches Dresden«, ein Holzriss von 1970
»Unsterbliches Dresden«, ein Holzriss von 1970

Schon der Kunsthistoriker Max Jacob Friedländer, dem wir profunde Erkenntnisse zur Kunsttheorie zu danken haben, bemerkte einmal, dass der Holzschnitt als eine »autonome Kunst« anzusehen wäre. »Aber, es gab wohl keine schöpferische Persönlichkeit, die sich allein darauf beschränkt hätte, sich in dieser Kunstweise auszusprechen.« Man denke an die »Brücke«-Künstler! In keiner anderen Technik als dem Holzschnitt gelangte das expressionistische Formverlangen so zum Durchbruch! Heckel, Kirchner, Pechstein, Schmidt-Rottluff räumten in vereinfachten Flächen- und Linienschnitten mit der überlebten Tradition auf, aber alle wandten sich dann gleichermaßen der Malerei zu. Wilhelm Rudolph verknüpfte die Eigenarten des expressionistischen Holzschnitts mit dem ikonografischen Programm der Neuen Sachlichkeit. Das Grafische aber war für ihn Ausgleich zur Malerei.

Bei Werner Wittig, dem jetzt eine faszinierende Retrospektive in der Städtischen Galerie Dresden gewidmet ist, dürfte sich das genau anders vollziehen. Er wird doch von uns heute in erster Linie als Meister des Holzrisses gesehen, und dies in einem kunsthistorisch bestimmbaren Rang. Innerhalb der Dresdner Kunst geradezu in einer Ausnahmestellung, ein Künstler, der sein Thema endlich wieder total sieht! Mithin bezeichnet sein Schaffen in der Besinnung auf Strukturelles die Überwindung des Ideenholzschnittes der Expressionisten von einst und all jener, die sich auf ihn berufen. Wittig ist hierzulande der Künstler, der ein vollkommenes Bild aus der Struktur des Holzes entstehen lässt, durch Stiche, Risse, gekratzte Linien und damit vollkommen neue grafische Strukturen schaffend.

Die ausgleichende Wirkung der Malerei! Zum ersten Mal wird in dieser Ausstellung ein umfassender Einblick ins malerische Werk Wittigs gewährt und dies in einer wohltuenden Korrespondenz zum Grafischen. Der Blick zurück reicht bis in die frühen 50er Jahre. Auch Wittig erprobt eine gewisse Zeit die Methode des Gliederns und Schichtens von Farbflecken ganz im Sinne Paul Cézannes.

Als Maler ist Wittig Autodidakt. Aber er hat Weggefährten, mit denen er sich reiben kann. Schon Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre entfaltet er sich selbstständiger. Eine Orientierungshilfe ist wohl in diesen Jahren vor allem der Maler Albert Wigand, der bei aller Bescheidenheit in Thema und Form einen ausgeprägten Sinn zur wohlgeordneten Komposition offenbart. Wittig gehört in Dresden zu seinen Verehrern. Die »plebejische Note« seines Schaffens wird er fortsetzen und, wie er, einfachste Dinge auf kostbare Weise mit Hingabe selbst in kleinste Formate übersetzen.

Mit Wigand kamen bekanntlich französische Elemente in die Dresdner Malerei. Und schließlich dürften auch Vuillard, Bonnard, Utrillo einen Maler wie Wittig nicht unberührt gelassen haben. Unwillkürlich denkt man bei Landschaftlichem an die Lauterkeit der Bildwelt Utrillos. Und Wittigs Stillleben haben auch etwas von der ungezwungenen Einfachheit in der Bildwelt eines Chardin.

Die stille Sprache der Malerei Wittigs, die sich so mit dem Geist der Kunst von Paris verbindet, hat zudem eine gewisse Verwandtschaft mit Giorgio Morandi. Es ist eine »selbstbewusste Bescheidenheit« in den Stillleben, in diesem Zwiegespräch von Objekten, eine Bescheidenheit, die hervorsticht, in den strengen Formen, in der Reduktion harmonischer Gebilde, in Gläsern, Muscheln, Blumen, Früchten. In jüngeren Arbeiten das Plastische weitgehend aufgelöst zugunsten einer farbig strömenden Gestaltung, die Effekte des Irdischen gleichsam eintauscht gegen die schmucklose Definition der Existenz. So findet Wittig in der fragmentarischen Auflösung und im nunmehr nur zitathaften Buchstabieren eines eher heterogenen Bildvokabulars zu einem magisch verfremdeten Klang in seinen großformatigen mehrfach überdruckten farbigen Holzrissen. Auch hier bestimmt noch sichtbare Welt den Raum, doch die Wirklichkeit ist schwer zu erfassen. Und Wittig hat jetzt offensichtlich den Punkt erreicht, an dem abstrakte Wirklichkeiten den Raum erfüllen, Aspekte mithin, die Traumbilder entstehen lassen, die sein Werk ins Metaphysische der Moderne tragen.

Melancholisches war schon seinen früheren Holzrissen mit dörflicher Thematik oder städtischen Landschaften zu entnehmen. Anfangs ist die Darstellung noch ganz und gar diesseitig, in Beziehung zu Rosenhauer, Rudolph, Wilhelm, Kröner und anderen der Dresdner Malschule stark verbunden, doch dann wird Wittig zunehmend welthaltiger gestalten, zeitlose Antworten suchend, gänzlich allen Programmen und jeglicher politischer Observanz eine Absage erteilend. Da ist er ganz Morandi verwandt, der gesagt haben soll, er habe »einzig für den Raum, das Licht, die Farbe und die Formen« Interesse gezeigt. Es ist »eine Verfremdung, die zurückführt nach Eden«, um es mit Worten des Lyrikers Michael Hamburger zu sagen: »Poesie, genährt von dem, was ist, / Erfahren, imaginiert, beobachtet oder geträumt,...«

Städtische Galerie Dresden: Stille. Holzrisse und Gemälde von Werner Wittig. Bis 10. Mai. Katalog.

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