Der gute Mensch von Nanking

»John Rabe« – der Film von Florian Gallenberger hat heftige Reaktionen ausgelöst

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Gute Nazis sind gewöhnlich keine guten Menschen. Das ist ein historischer Erfahrungswert. Und doch ist die Geschichte des John Rabe die eines Mannes, der Mitglied der NSDAP war und 200 000 Menschen vor dem Tod rettete. Die Geschichte einer Besinnung, einer Wandlung wohl auch. Rabe, der sich für einen guten nationalsozialistischen Deutschen hält, ist es in seinen Taten längst nicht mehr. Soll man ihm das vorwerfen?

Das Leben liebt Widersprüche und angeblich tun wir das ja alle. Aber wenn einer in seinem ganzen Widerspruch vor uns steht wie John Rabe 1937 im chinesischen Nanking, dann kommen uns Bedenken, ob überhaupt sein dürfe, was gewesen ist. John Rabe leitet die Siemens-Niederlassung in Nanking. Als die Japaner die Stadt angreifen, richten sie ein Blutband an. Es gibt Massenhinrichtungen von Kriegsgefangenen und innerhalb kurzer Zeit werden 300 000 Chinesen niedergemetzelt. Bis heute weigert sich Japan, das Ausmaß dieses Verbrechens anzuerkennen. John Rabe und fünfzehn weitere Ausländer verschiedener Nationalität in Nanking wollen dem Massenmord nicht zusehen.

Sie gründen ein Komitee zum Schutz der Zivilbevölkerung, dem Rabe vorsteht. Er telegrafiert auch an Hitler wegen des Massakers von Nanking und bittet um Intervention bei den verbündeten Japanern – keine Reaktion. Rabe initiiert eine Schutzzone für 200 000 Menschen, eine Art entmilitarisierten Bereich, den das Komitee verwaltet. Die Japaner anerkennen diesen widerstrebend. Ja, dieser John Rabe ist ein stiller Held, von dem man bis vor wenigen Jahren bei uns nichts wusste. Schließlich weisen die Japaner Rabe aus und in Berlin wird er von der Gestapo verhört – er hat für die falsche Seite Partei genommen. Partei? Es ging nur darum, einem Massenmord nicht einfach zuzuschauen.

Siemens schickt Rabe dann nach Afghanistan. Nach dem Krieg zurück in Deutschland wird er von den Engländern nicht entnazifiziert. Ins Tagebuch notiert er: »In Nanking der lebende Buddha ... hier der Outcast. Da kann man schon vom Heimweh kuriert werden.« 1950 stirbt er in Berlin. Erst vor zehn Jahren erinnerte man sich an Rabe, durch ein Buch von Erwin Wickert – Vater von Ulrich Wickert – über den »lebenden Buddha von Nanking«, auch seine Tagebücher erschienen.

Und nun hat der junge Regisseur Florian Gallenberger (2001 bereits Oscar-Gewinner in der Kategorie Bester Kurzfilm) diese Wochen in Nanking verfilmt, mit Ulrich Tukur als John Rabe – und damit heftige Reaktionen ausgelöst. Einige wollten darin einen Film für Neonazis sehen, ein »nationales Weihespiel«, gar einen »postumen NS-Propagandafilm«. Das ist arg. Besonders stößt sich mancher daran, dass eine riesige Hakenkreuzfahne zu einem »Schutzsymbol« umfunktioniert werde. Denn als das Siemens-Werk von den Japanern bombardiert wird, lässt Rabe diese Fahne ausbreiten. Die chinesischen Arbeiter suchen darunter Schutz, und tatsächlich drehen die Flugzeuge ab. Glauben wir nun, dass Hakenkreuz und Rotes Kreuz dasselbe sind? Man muss keine besonders hohe Meinung von uns Zuschauern haben, wenn man das unterstellt.

Allerdings, der Film hat nicht wenige Schwächen. Die gravierendste: Gallenberger wollte einen großen Film machen (er kostete 17 Millionen Euro, gedreht wurde viersprachig) und entstanden ist etwas, das mitunter unangenehm opernhaft wirkt. Besonders Rabes Ehegeschichte (Dagmar Manzel als Frau Rabe) bleibt bieder-sentimental, bis hin zum gänzlich überflüssigen Happy End, als seine tot geglaubte Frau – die Japaner versenken das Schiff, mit dem sie Nanking verlässt – wieder vor ihm steht. Da zeigt sich Gallenbergers fataler Hang zum konventionellen Bild, Fernsehen im Breitwandformat. Japaner, Chinesen, die anderen Ausländer in Nanking – alles wird zur Kulisse. Einige Szenen jedoch, wie jene vom »Wettköpfen« japanischer Offiziere, schockieren. Insgesamt bleibt von »John Rabe« ein starker Eindruck, eine Atmosphäre der Angst und mittendrin ein schon etwas älterer Mann, der sich plötzlich entscheiden muss. Ulrich Tukur hilft mit seiner Glaubwürdigkeit dem Film über alle Anflüge der Seichtheit hinweg. (Ganz anders als der blasse Tom Cruise mit seiner Stauffenberg-Vergötzung in »Operation Walküre«.)

Es ist das Porträt eines tief widersprüchlichen Mannes, auf dem plötzlich eine Last liegt, die er erst nicht tragen will – die er aber dann doch trägt und das auf imponierende Weise. Er hätte für sein widerständiges Tun auch einer der unzähligen von marodierenden japanischen Soldaten Erschlagenen sein können, von dem niemals jemand etwas erfährt. Er hätte es einfacher haben können, aber er wollte es anders. Tukur zeigt uns Rabe auf eine subtile, nie auftrumpfende Weise. Dieser Mann kann nicht aus seiner Haut. Er ist in der NSDAP, gewiss, die sind in Deutschland schließlich jetzt die Herren. Er lebt seit dreißig Jahren in China und Politik ist ihm eigentlich egal. Er ist Chef bei Siemens und diese Rolle füllt ihn aus. Ein Opportunist, wie so viele andere auch, aber ab einem bestimmten Punkt kann er nicht mehr wegschaun. Er würde wohl gern, aber er kann nicht. Plötzlich riskiert er sein Leben für andere. Dafür muss er die Seiten wechseln, sich zu den Chinesen bekennen. Diesen Weg Rabes zeigt der Film eindrucksvoll. Denn wenn Gallenberger sich auf Tukur konzentriert, dann entsteht für Momente intensivstes Kammerspiel. Ob das den Film als Film zu retten vermag? Ich denke ja, trotz allem, was gegen ihn spricht.

Vor allem ein Verdienst wird bleiben: uns John Rabe ins Bewusstsein gebracht zu haben, den zu vergessen unwürdig gewesen wäre. Jetzt schenkt die Stadt Nanking Berlin ein Denkmal Rabes, das im Sommer auf dem Friedhof der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche aufgestellt werden soll. Die Kosten für die Pflege der Grabstätte übernehmen die Nankinger auch. Denn, so weiß man dort, es zählt nicht die einmalige große Geste, sondern das stille hilfreiche Tun.

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