Zarte Anmut und Diskurs

Prater: Neueröffnung mit Pollesch-Stück

  • Ricarda Bethke
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Publikum des Prater war nie so vornehm und die Stimmung war immer ausgelassener als in den ›gehobenen‹ Klubs und Theatern der Stadt«, so hieß es früher schon über diesen Ort. Ausgelassen war auch die Stimmung bei der Uraufführung von René Polleschs Stück »Ein Chor irrt sich gewaltig« zur Wiedereröffnung dieser Spielstätte der Volksbühne – die derzeit Baustelle ist.

Prater leitet sich von pratum her, dem lateinischen Wort für Wiese. Ungefähr seit 1837 war der Berliner Prater Vergnügungsstätte für die Bevölkerung: ein Garten mit Ausschank, Tanzsaal und Musik. 1905 bekam die Wirtin eine Konzession für Theater. Man ließ die Fassade, ein Obergeschoss, den Saal und die Bühne ausbauen, ohne Gründerzeitprotz. Die Stuckelemente sind zierlich, die Proportionen noch klassisch, die freigelegten Anstriche blumig und zart.

Die zweite Spielstätte der Volksbühne wurde jetzt restauriert, langsam, liebvoll und teuer. Um 1800 hat es noch viele Mühlen auf dem Prenzlauer Berg gegeben. Das Wort PRATER an der Fassade, aus flirrenden Pailletten gemacht, lockt nun wie Moulin Rouge, leuchtet violett bis zum Wurststand Konopke in der Schönhauser Allee.

Um sexuelles Begehren und Verweigern geht es in Polleschs Stück, der mit Zitaten aus Opern und Filmen spielt. So viel Kunst- und Lebenssüße wie in »Ein Chor irrt sich gewaltig« ist für Pollesch neu. Hingerissen ist der Zuschauer vom Traviata-Gesang, parodiert durch Playback, von den Aussprache-Übungen französischer Laute, den Kostümen des Chores. Und gegen des Regisseurs Prinzipien, dass es bei ihm hauptsächlich um das produktive Kollektiv gehe, ist Sophie Rois deutlich die Taktgeberin und Diva, Publikumsliebling sowieso. Die Situation, eine erotisch begehrte und intellektuell verehrte Person zu sein, macht sie selbst zum Gegenstand der Betrachtung, das wird abgefeiert und zugleich dekonstruiert.

Die Süße wird unterbrochen von lehrhaften Diskursen. Sprach- und Begriffswitze beziehen sich zum Beispiel auf Theorien von Boris Groys in »Das kommunistische Postskriptum«, wonach eine Herrschaft der Sprache gegen die Herrschaft des Geldes sich irgendwann wieder durchsetzen werde, weil Sprache demokratischer und also letztlich produktiver sei. Dietmar Daths Thesen vom echten Egoismus, der sich in der Kooperation erfüllt, werden aufgegriffen. Die Kooperation sei der wahre Antrieb für die Evolution der Menschheit, nicht die Vereinzelung durch die Konkurrenz, die nur hemmend und zerstörend wirke. Natürlich wird da die Marxsche Analyse wach. Wie immer ist Pollesch ein scharfer Kritiker der unwirksamen Kapitalismuskritik. »Die herrschende Kapitalismuskritik ist vielleicht deshalb so en vogue, weil sie sich darauf beschränkt, wieder nur zu sagen, dass wir bessere Menschen werden müssten. Aber wir sind schon gut genug.«

Renè Pollesch wurde schon oft ausgezeichnet, interviewt, gedruckt und verfilmt. Aber so glücklich und ausgelassen wie diesmal hat er sein Publikum selten gemacht. Es gab jubelnden Applaus. Der Grund dafür liegt auch im sprachlichen, musikalischen und gestischen Rhythmus, im Artistischen. Die Prägnanz des Chores (Leitung: Christine Groß) wirkte leicht und unangestrengt.

Nächste Aufführung am 7.4. 19.30 Uhr.

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