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Fast eine fünfte Gewalt

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine US-amerikanische Bloggerin hat – für die Begriffe der USA – gerade große Medien-Politik gemacht: Amanda Terkel von »thinkprogress.org« hat dafür gesorgt, dass »O' Reilly Factor«, eine rechte Hetzsendung des Murdoch-Kanals »Fox News« mit Millionenpublikum, einen wichtigen Sponsor verliert.

Terkel hatte einen etwas zurückliegenden Spruch des Moderators Bill O'Reilly verbreitet: Der hatte öffentlich nahegelegt, dass ein Vergewaltigungsopfer wegen seiner knappen Bekleidung selbst schuld sei. Dennoch wollte er auf einer Gala für vergewaltigte Mädchen auftreten. Nach Terkels Veröffentlichung ließ O'Reilly die Bloggerin mit der Kamera verfolgen, um sie im Urlaub mit aggressiven Fragen zu behelligen; dieses »Interview« sendete Fox. Doch Terkel wehrte sich, und nachdem O'Reillys Erzfeind Keith Olbermann vom linksliberalen Sender MSNBC intervenierte, stoppte der Paketdienst UPS seine Werbung in der Show. Die Geschichte war Tagesgespräch in den USA. Und in dem Land, in dem die Republikanische Partei inzwischen de facto von aggressiven Polit-Talkern geführt wird, eine hochpolitische Angelegenheit.

In den USA gehören Internet-Blogs längst zur Medien-Normalität. Besonders die politischen Fernsehsendungen greifen auf Blogger zurück, als Nachrichtenquellen wie als Kommentatoren. Auch in Deutschland landen Blogs hin und wieder einen Coup. Zuletzt machte netzpolitik.org von Markus Beckedahl Schlagzeilen, der im Februar ein Dokument zur Mitarbeiterbespitzelung bei der Deutschen Bahn veröffentlicht hatte. Doch insgesamt ist die »Blogosphäre« in Deutschland weit davon entfernt, das Versprechen des »Bürgerjournalismus« zu erfüllen: eine »fünfte Gewalt«, die nicht nur die Gesellschaft reflektiert, sondern auch die »Filter« der etablierten Medien umgeht.

Tatsächlich bergen die Blogs riesige Potenziale von Demokratisierung. Fast ohne Kosten – die eigene Arbeitszeit nicht gerechnet – kann, wer sich berufen fühlt, Nachrichten, Theorien und Kommentare verbreiten, die theoretisch von jedem Inernetnutzer gelesen werden können. Wer gut vernetzt ist mit seinem Blog, was allerdings viel Zeit und Arbeit erfordert, kann Zigtausende erreichen. Und auslösen, wovon die meisten politischen Blogger wohl heimlich träumen: eine Medienlawine, an deren Anfang ein scheinbar machtloser David an der Tastatur sitzt und an deren Ende ein Goliath stürzt. Oder zumindest eine Sichtweise verbreitet wird, die aus dem herrschenden Takt fällt.

Die Praxis in Deutschland ist allerdings bescheidener. Die übergroße Mehrheit, so eine neue Studie, schreibt über Freizeit und Privates. Blogs werden benutzt, um Bekannte auf dem Laufenden zu halten, Fotos der Kinder oder der Katzen zu zeigen.

Journalistisch relevant sind neben Technik-Blogs noch am ehesten die »Watchblogs«, die sich der genauen Beobachtung eines politischen, sozialen oder Medien-Akteurs verschieben haben. Das »Bild-Blog«, das sich täglich mit den Praktiken der Boulevardzeitung auseinandersetzt, ist noch immer das meistgelesene. Ausgerechnet dessen Macher Stefan Niggemeier war es, der auf der re:publica – der bisher größten deutschen Blogger-Konferenz, die am Freitag in Berlin zuende ging –, den mangelnden Input der deutschen Blogger beklagte. Meist reflektierten sie über Nachrichten derer, die sie das Fürchten lehren wollen: der etablierten Medien.

Ein wenig neidisch starren viele Blog-Aktivisten daher über den großen Teich. Dort kann man tatsächlich eine mögliche Zukunft der Blogosphäre besichtigen. Doch mit der demokratischen Revolution des schreibenden Bürgers hat auch diese nur eingeschränkt zu tun; wirklich wichtig werden nur Blogs mit Hintergrund. Hinter »thinkprogress« etwa steht das »Center for American Progress«, ein mächtiger Thinktank der Demokraten.

Der Autor ist Mitarbeiter des ND-Innenressorts

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