Ein neuer NATO-Chef macht noch keinen neuen Pakt

Keine grundlegende Strategieänderung / Afghanistan weiter Zankapfel

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 5 Min.
Erst hat Barack Obama am Wochenende das NATO-Treffen vor einer Blamage gerettet, als er in letzter Minute den Widerstand der Türkei gegen Anders Fogh Rasmussen als neuen Generalsekretär ausräumte. Und dann stahl er mit seiner in Prag verkündeten Vision einer nuklearwaffenfreien Welt dem Jubiläumsgipfel noch die Show.

Das Lächeln wirkte gequält. Natürlich werde er mit der Türkei zusammenarbeiten und sich in seiner neuen Funktion besonders um die Beziehungen zur muslimischen Welt kümmern, versicherte der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen nach seiner Ernennung zum NATO-Generalsekretär. Noch am Freitagabend hatte Ankara die eigentlich geplante Verkündung des 12. Generalsekretär seit NATO-Gründung vor 60 Jahren blockiert. Sie sollte einer der Höhepunkte des Jubiläumsgipfels werden. Seit Bekanntwerden seiner Ambitionen machte die Türkei gegen Rasmussen mobil, vor allem wegen seiner Rolle im Streit um die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung.

Streit um Rasmussen offenbart tiefe Kluft

Das Gefeilsche um seine Wahl offenbarte eine neue Kluft im mächtigsten Militärbündnis der Welt. Erst nach hektischer Diplomatie und einem eindringlichen Gespräch zwischen Obama und seinem türkischen Amtskollegen Abdullah Gül lenkte der widerborstige Bündnispartner ein. Die Wende soll Obamas Versprechen gebracht haben, als »Garant« dafür zu wirken, dass die Bedenken gegen Rasmussen zerstreut werden. Hinzu kamen diverse Zusagen, wie gestern türkische Zeitungen berichteten. So werde Rasmussen auf dem heute in Istanbul beginnenden Jahrestreffen der Allianz für Zivilisationen in Sachen Mohammed-Karikaturen ein Zeichen der Entschuldigung setzen. Zudem erwarte man, dass gegen den in Dänemark ansässigen kurdischen Sender Roj TV vorgegangen werde. Und schließlich solle Ankara drei ranghohe Posten in der NATO besetzen, darunter den des Stellvertreters von Rasmussen.

Unabhängig von den türkischen Bedenken ist zu fragen, ob dieser der richtige Mann ist, um federführend an der Ausarbeitung einer wirklich neuen Strategie für die NATO zu arbeiten. Der dänische Rechtsliberale gehörte unter Negierung der Bedrohungsanalyse des eigenen Geheimdienstes zu den großen Unterstützern der verheerenden Irak- und Anti-Terrorpolitik der Bush-Regierung. Der Pakt gab jetzt ein neues strategisches Konzept in Auftrag, das man beim nächsten Gipfel 2010 in Lissabon annehmen will. Kern solle die Beistandsverpflichtung in Artikel V des NATO-Vertrags bleiben, neue Herausforderungen wie die Piraterie oder Cyberattacken würden als zentrale Aufgaben hinzukommen. Vor allem aber wird die NATO an ihrer Funktion als global agierendes Interventionsbündnis auch ohne jedes UN-Mandat feilen, um die geostrategischen Interessen der Industrieländer abzusichern.

Die europäischen Partner sehen den längst auf Pakistan ausgedehnten Krieg in Afghanistan zwar einmütig als »Bewährungsprobe« für den Pakt, verweigern Obama aber die erhoffte massive Hilfe für seine neue Strategie. Die USA schicken zusätzliche 17 000 Soldaten und 4000 Ausbilder. Die anderen 27 NATO-Staaten wollen nach einem Beschluss in Straßburg zusammen weniger als ein Viertel so viele Sicherheitskräfte entsenden, und das zum Teil auch nur vorübergehend. Der zivile Wiederaufbau wird mit 370 Millionen Euro gefördert. Zudem gibt es eine erste Einzahlung von 74 Millionen Euro in einen Fonds zum Unterhalt der afghanischen Armee. Obama nannte die Zusagen der NATO-Partner für 5000 weitere Soldaten und Ausbilder höflich »ermutigend«. Doch der Krieg am Hindukusch wird im Bündnis ein Zankapfel bleiben.

Beziehungen zu Russland bleiben fragil

Entspannung gab es dagegen in den Beziehungen zu Moskau, obwohl die Osterweiterung der NATO mit der Aufnahme Kroatiens und Albaniens fortgesetzt wurde. Schon im Mai könnte es das erste Minister-Treffen mit Russland seit dem Georgien-Konflikt geben. Allerdings dürfte die jetzt bekräftigte und von Russland abgelehnte Beitrittsperspektive für die Ukraine und Georgien weiter für Zündstoff sorgen. So wie die Ankündigung von Obama, an den Plänen eines Raketenabwehrschildes vor der Haustür Russlands festzuhalten, solange Iran bei seinen atomaren Ambitionen bleibe. Auch wenn die NATO in dieser Frage mit Moskau bei »maximaler Transparenz und gegenseitiger Vertrauensbildung« zusammenarbeiten wolle, so die Gipfelerklärung. Obama wiederum betonte gestern mit Blick auf Teheran seinen Wunsch, Iran mit Diplomatie und Respekt von seinen Atomplänen abbringen zu können. Doch weiß man auch, dass in den Schubladen des Pentagon die Pläne für eine »militärische Option« liegen.

Atomwaffen-Initiative mit Hoffnungen und Fragen

Ein Hoffnungszeichen setzt die vom USA-Präsidenten entworfene Vision einer nuklearwaffenfreien Welt, die er interessanterweise nicht auf dem Jubiläumsgipfel des Nordatlantikpaktes, sondern gestern vor dem EU-USA-Gipfel in Prag verkündet hat. In den bisher bekannt gewordenen Überlegungen für eine neue NATO-Strategie war vom Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen keine Rede. Es soll auch dabei bleiben, dass in Deutschland US-Atomwaffen stationiert sind. Eines scheint Obama aber klar geworden zu sein: Die Welt brauche einen neuen Ansatz im Kampf gegen Atomwaffen, weil die Gefahr nuklearer Angriffe trotz der Beendigung des Kalten Krieges gewachsen sei. Vor allem müssten weitere Staaten sowie Terroristen vom Bau oder Erwerb nuklearer Waffen abgehalten werden. Deshalb könnten die USA ihre eigenen Atomwaffen nicht aufgeben, solange es noch eine nukleare Bedrohung gebe.

Erst einmal will Obama eine globale Gipfelkonferenz zur nuklearen Sicherheit nach Washington einberufen. Eine zu schaffende internationale Institution für die Verteilung nuklearen Brennstoffs soll künftig sicherstellen, dass Länder die Atomkraft als Energiequelle für friedliche Zwecke nutzen könnten. Obama kündigte zudem eine neue Initiative an, damit der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffentests auch in den USA ratifiziert wird. Der wird seit Jahren im Washingtoner Senat blockiert. Eine Nagelprobe für Washingtons Willen zur atomaren Abrüstung wird vor allem das mit Moskau angepeilte Folgeabkommen für den in diesem Jahr auslaufenden START-Vertrag über strategische Offensivwaffen werden.

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