nd-aktuell.de / 15.04.2009 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 10

Blockade als letzter Ausweg

Zulieferer Visteon droht Beschäftigten mit Gefängnis und Enteignung ihrer Häuser

Christian Bunke
Seit dem 31. März sind in England und Nordirland Fabrikhallen des Autozulieferers Visteon besetzt. Die Firma liefert Autobestandteile an Ford und hat ihren Bankrott erklärt. Den Beschäftigten werden soziale Leitungen verweigert.

Am Dienstag, dem 31. März, wurde den Arbeitern des Autozulieferers Visteon in Belfast, Basildon und Enfield mitgeteilt, die Firma sei bankrott und die Beschäftigten hätten sechs Minuten Zeit, um das Gelände zu verlassen.

»Wir waren verzweifelt. Viele von uns haben geweint. Später haben wir uns in den Kneipen getroffen, und viel über die Situation geredet. Durch die Gespräche wandelte sich die Verzweiflung bei vielen Leuten langsam in Wut um. Es entstand das Gefühl, wir können die Bosse nicht so einfach davonkommen lassen, wir müssen etwas unternehmen.« So beschrieb ein Arbeiter der besetzten Fabrik Enfield die Stimmungslage kurz vor der Besetzung. Seitdem wehten auf dem Dach der Fabrik die roten Fahnen der Gewerkschaft UNITE, am Fabriktor stand zu lesen: »Dieses Gebäude ist nun ein Squat, ein besetztes Haus.« An Bauzäunen rings um die Fabrik hingen zahlreiche Transparente von verschiedenen linken Organisationen und Gewerkschaften. Auf dem Dach versammelten sich die Arbeiter zu Protestkundgebungen.

Die Besetzung in Enfield wurde am vergangenen Donnerstag beendet. Das Unternehmen ließ eine gerichtliche Verfügung ausstellen, die insbesondere den Vertrauensleuten in der Fabrik Gefängnis und die Enteignung ihrer Häuser androhte, sollte die Besetzung weitergehen. Deshalb wandelten die Arbeiter die Besetzung nun in eine Blockade der Fabrik um. Ähnlich sieht es in Basildon aus, dort wurde bereits nach zwei Tagen die Besetzung aufgegeben und in eine Blockade umgewandelt. Am Ostersonnabend hatten Beschäftigte einen Protestmarsch durch den Ort veranstaltet. In Belfast geht die Besetzung mit ungebrochener Stärke weiter. In dieser Woche sollen US-amerikanische Visteon-Vertreter in Großbritannien zu Verhandlungen mit der Gewerkschaft UNITE einfliegen.

Die Wut unter allen Beschäftigten ist groß. Bis 2000 war ihre Firma Bestandteil des Fordkonzerns, wurde dann aber abgespalten. Ford hatte Visteon als Mittel der Profitmaximierung benutzt. Die Firma war für die von ihr gelieferten Teile immer unter Wert bezahlt worden, so konnte der US-Autobauer lange Zeit die Bilanzen schönen. Nun droht 600 Visteon-Arbeitern der soziale Absturz, teilweise sogar die Obdachlosigkeit, weil Raten nicht mehr bezahlt werden könnten. Der Visteon-Vorstand hat derweil vorgesorgt und für die Verwaltung von Vorstandsboni und Renten eine eigene Firma gegründet. Nicht ohne Grund fordern die Arbeiter deshalb Einblick in die Finanzlage des Unternehmens. Es sollen sich 1,1 Milliarden Pfund auf dem Visteon-Konto befinden.

Die Unterstützung aus der Bevölkerung für die Besetzungen ist groß. Einer der Besetzer in Enfield erzählte: »Geschäftsleute aus der Umgebung sind vorbeigekommen und haben Lebensmittel gebracht. Einer hat Dixietoiletten hergefahren, völlig kostenlos. Selbst die Polizisten hatten Sympathie für uns. Einer hat gesagt, wenn er könnte, würde er mit uns auf dem Dach stehen.«

Visteon weigert sich, seinen Arbeitern dasselbe Sozialpaket zu geben, wie es den Ford-Arbeitern zusteht. Dies ist im Widerspruch zu einem Abkommen aus dem Jahr 2000, als Visteon von Ford abgespalten wurde. Die Minimalforderung der Visteon-Arbeiter ist, die- selben Konditionen wie Fordarbeiter zu bekommen. Solange dies nicht geschieht, wollen sie weiter- kämpfen.