Bildersturm der Bürokraten

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.
Karikatur: Christiane Pfohlmann
Karikatur: Christiane Pfohlmann

Die Schule, die meine beiden Kinder besuchen, ist eine wirklich gute Schule. Die Schulflure unterscheiden sich wohltuend von denen anderer Bildungsstätten. Wunderschöne, von den Schülern selbst gemalte Bilder verzieren die Wände in den Gängen; ganz große, auf Papier gezeichnete Farbenspiele können von Eltern und Besuchern bestaunt werden.

Um die Schule vor dem Amtsschimmel zu schützen, werde ich mir allerdings den Hinweis tunlichst verkneifen, um welche Schule es sich handelt. Diese Vorsicht ist angebracht, haben doch erst jüngst Schulen in Brandenburg Ärger mit den Behörden bekommen, weil sie Kunstwerke ihrer Schüler in den Fluren ausstellten. Das verstoße gegen die Brandschutzbestimmungen, meinten die Bürokraten und ordneten deshalb einen Bildersturm an. Jetzt sind die Wände wieder kahl und strahlen eher den Charme eines Amtes denn einer Lernstätte aus. Nur hinter Glas dürften die Zeichnungen der Kinder ausgestellt werden, befand die zuständige Behörde. Das Geld für die Anschaffung solcher teuren Kästen haben allerdings die wenigsten Schulen.

Der Vorgang offenbart das ganze Elend des deutschen Bildungswesens – nicht die Pädagogik steht im Zentrum allen Bemühens, sondern die Bereitschaft, den Anforderungen staatlicher Verwaltungen zu genügen. Ämter mögen es nicht für wichtig erachten, ob im Schulflur ein paar Farbkleckse angebracht werden oder nicht, für den achtjährigen Schüler, der vielleicht nur im Kunstunterricht zu glänzen vermag, ansonsten aber sich mit dem Lernen schwer tut, ist dies dagegen fast schon eine existenzielle Frage. Zynisch formuliert lernen Kinder hierdurch etwas, das über ihre Schulzeit weit hinausreicht: Das Leben besteht aus einer Abfolge von Kämpfen gegen die Bürokratie, und sollten sie später einmal Werke von Kafka lesen, haben sie mehr als eine Ahnung davon, was den Schriftsteller an der Gesellschaft verzweifeln ließ.

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