»Wir malen nicht für eure Krise«

Freie Künstler strömen massenhaft nach Berlin und tragen zum Weltruhm der Stadt bei – viele von ihnen leben in Armut

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 7 Min.

Im Atelier riecht es nach Ölfarbe. Ausgedrückte Tuben liegen in der Ecke, defekte oder benutzte Leinwände und Staffeleien stehen wild im Raum verteilt. Der Maler Udo Glaw bereitet sich in einer der maroden Hallen auf dem RAW-Gelände in Berlin-Friedrichshain auf die Arbeit vor. Seit vier Jahren macht er mit beim Kunstkollektiv RAW-Tempel. Schon viel länger wird das ehemalige Bahnareal von den Malern, Musikern oder Literaten instand und interessant gehalten. »Vor zwei Jahren wurde es von Investoren geschluckt. Die Projekte sind nun akut von Verdrängung bedroht«, so Glaw. Neben Kraft für diesen Kampf wird er Zeit, Kreativität und Geld für Miete und Materialien in seine Kunst investieren – doch ob er an ihr etwas verdienen wird, ist mehr als ungewiss.

Andere können sich da sicherer sein. Denn die Arbeiten der Künstler des RAW-Tempels bilden neben tausenden anderen Bausteinen den Sockel, auf dem bequem ein Koloss namens »Kreativwirtschaft« Platz nehmen kann: Musikverlage, Werbeagenturen, Kunsthändler und Konzertveranstalter, die in Berlin pro Jahr 2,1 Milliarden Euro erwirtschaften. Sie handeln mit dem Honig, den die fleißigen freien Künstler-Bienen, angetrieben von Idealismus, begleitet von schlaflosen Nächten und permanenten Geldsorgen, kreiert haben.

Kreativbranche boomt – Künstler darben

Über 20 000 Künstler gibt es in Berlin, dazu kommen knapp 80 000 Erwerbstätige in den »kreativen« Berufen. Zusammen tragen sie ein Zehntel zu Beschäftigung und Wirtschaftsleistung der Stadt bei, rechnet Marco Mundelius vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor. Im Auftrag des Berliner Senats hat er die Einkommenssituation der Künstler in der Stadt untersucht.

In Berlin wuchs von 1998 bis 2006 die Zahl der Künstler und Kreativberufler um 37 Prozent und damit deutlich stärker als in Vergleichsregionen wie Hamburg, Köln oder Düsseldorf. Während aber bei den Berliner Orchestern oder Schauspielensembles angestellte Künstler überdurchschnittlich gut bezahlt werden, ging das Einkommen von etwa 75 Prozent der Bildenden Künstler in den Keller.

»Die Bildenden Künstler in Berlin verdienen durchschnittlich zehn Prozent weniger als in den anderen untersuchten Regionen und im Berliner Vergleich nicht mal die Hälfte des Lohnes anderer Selbstständiger in der Stadt«, so Mundelius. Diese Aussagen möchte Torsten Wöhlert von der Berliner Senatskulturverwaltung jedoch ergänzen: »Man muss bei der Rechnung die sehr günstigen Berliner Bedingungen – von den Mieten bis zur Atelierförderung – einbeziehen.«

Einkommen um 600 Euro

Das Brutto-Durchschnittseinkommen eines freien Bildenden Künstlers in der Kreativmetropole betrage dennoch gerade einmal 600 Euro, beharrt der Geschäftsführer des Berufsverbandes Bildender Künstler Berlin, Bernhard Kotowski. Die meisten hätten Anspruch auf Hartz IV, viele würden es aber nicht beantragen. Immerhin aber erweise sich der Kunstmarkt als relativ robust in den Krisenzeiten. »Und die freien Künstler haben ohnehin kaum etwas, das sie verlieren könnten«, stellt Kotowski trocken fest. Denn das große Geld verdienen andere – die Mehrheit der Kreativen reibt sich unterm Existenzminimum auf.

»Die letzten Nächte gab's wenig Schlaf«, murmelt Murat und macht die Tür zu einem Keller in der Kreuzberger Urbanstraße auf. Mischpult, Kabel, Keyboard, Gitarren und Laptop – alles auf zehn Quadratmetern. Der Musiker aus der hessischen Provinz ist seit einem halben Jahr in der Hauptstadt. Nun ist er pleite, jobbt tagsüber im Café, und schlägt sich die Nächte im Studio um die Ohren. Tiefe Ringe haben sich unter seinen Augen gebildet. Geld verdient er noch keines mit der Selbstausbeutung. Im Gegenteil: Seine gesamte Barschaft ist als Vorkasse im Studio investiert. Und selbst für den Fall eines Achtungserfolges bleibt er gesunder Skeptiker: »Musiker haben ja auch noch das Raubkopierer-Problem.« Die Bereitschaft, für genossene Kunst auch etwas zu bezahlen, ist im Musikbereich besonders rapide gesunken. »Das wird mit der Krise nicht besser«, stöhnt Murat.

Auch auf anderem Wege könnte die Finanzkrise die Kulturszene treffen. Die Staatshaushalte, die sich momentan als Kapitalismusretter verausgaben, werden schon bald erheblich weniger Spielraum für Kulturausgaben zur Verfügung haben. »Die konnten ja die letzten Jahre wenigstens auf gleichem Niveau gehalten werden«, so Kotowski. Das bestätigt auch Torsten Wöhlert: »Die Kulturverwaltung und der Hauptstadtkulturfond geben zusammen 20 Millionen Euro pro Jahr für Künstlerförderung aus. Diese Zahlen sind seit Jahren konstant.« Zwar komme der Löwenanteil Institutionen wie den drei Berliner Opernhäusern zu Gute. »Aber dadurch, dass die freien und die institutionellen Szenen in Berlin sehr verwoben sind, kommen Teile der Förderung auch bei den freien Künstlern an.«

Werden die Kultur-Etats aber eingedampft – und die Argumentationspapiere dafür liegen schon in den Schubladen – wird das auch die freien Künstler treffen. Gleichzeitig brechen Sponsorengelder weg. »Wo aber keine Blase war, kann auch nichts platzen«, beruhigt Wöhlert. »Berlin geht schon länger mit der Krise um, und das Sponsoringaufkommen ist hier aus historischen Gründen deutlich geringer als in anderen Städten.« Insofern hat das Graffito an der Kreuzberger Häuserwand recht, das in Anlehnung an einen aktuellen Demo-Slogan sagt: »Wir malen nicht für eure Krise!« Kritisch würde es aber, wenn die Finanzkrise auf Wirtschaft, Einkommen und öffentliche Haushalte durchschlagen würde, warnt Wöhlert.

Darum dürfe man die Wirtschaftsleistung der Kreativbranche nicht abgekoppelt von den Künstlern betrachten, betont wiederum Marco Mundelius vom DIW, da deren Arbeit Vorbedingung für jede Art von Berlin-Sog sei. Die Stadt ohne ihre Freie Kunstszene würde wahrscheinlich auch die Vermarktungsfirmen verlieren – oder gar nicht erst an Land ziehen. Suhrkamp hätte den Umzug von Frankfurt am Main wohl nicht gewagt, vom Musikriesen Universal oder der Modemesse Bread and Butter ganz zu schweigen

Es gibt natürlich auch erfolgreiche Freischaffende wie den Musikproduzenten Jury. Der New Yorker ist vor drei Jahren nach Berlin gezogen. »Berlin ist kreativ und noch bezahlbar«, nennt Jury die wohl häufigsten Gründe für Künstler, ihr Glück in der Bundeshauptstadt zu versuchen. »Außerdem steht Berlin in den USA für Freiräume und eine riesige Untergrund-Szene.« Das unterstreicht auch Bernhard Kotowski vom Künstlerverband: »Die Stadt hat als Produktionsstandort für Kunst einen Ruf wie Donnerhall in der Welt.«

Von den Künstlern, die diesem Ruf gefolgt sind, haben sich in Berlin jedoch laut Jobcenter 7000 arbeitslos gemeldet, wobei viele »Freie« beim Amt unter ganz anderen Berufen firmieren und somit nicht als Künstler registriert sind – die Dunkelziffer dürfte also groß sein. Ausländische Künstler erhalten gar keine Sozialleistungen. Auch bei der Künstlervermittlung der Arbeitsagentur fallen die Freischaffenden durchs Raster. »Die kreieren ihr eigenes Oeuvre. Unsere Kunden sind eher Ensembleschauspieler oder Orchestermusiker«, so Sprecher Jörg Brückner.

Den Königsweg gibt es nicht

Udo Glaw vom RAW-Tempel ist nun zur Selbsthilfe geschritten. »Elf Monate habe ich gerade arbeitslose Künstler in Sachen Verkauf und Promotion unterrichtet«, erzählt er. Das vom Jobcenter finanzierte Projekt hat nicht nur der Gruppe für diese Zeit den Lebensunterhalt gesichert, sondern auch neue Motivationen entfacht, sich auch um die Vermarktung der eigenen Werke zu kümmern.

Einen Königsweg zur Existenzsicherung der Kreativen gibt es anscheinend nicht. Am ehesten würde sich wohl ein bedingungsloses Grundeinkommen eignen. Denn selbst wenn das Geld dafür da wäre, wäre es laut Kotowski fatal, z.B. alle Bildenden Künstler an Schulen anzustellen. »Dann sind es ja keine Künstler mehr, sie wären der Szene verloren gegangen.« Besser findet er Projekte wie die »Kulturelle Jugendbildung«, ein Berliner Senats-Programm, das Einzelaktionen von Künstlern an Schulen fördert. Zudem sollten die Zahl der Stipendien und die Ankaufsetats von landeseigenen oder kommunalen Galerien erhöht werden. »Die sollen die ausstellenden Künstler dann bitte auch bezahlen« – im Gegensatz zur gängigen Praxis.

Darauf möchte Udo Glaw nicht warten. Er hat schon den nächsten Workshop beim Jobcenter beantragt.

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