Tschetschenien fast »befriedet«

Moskau hebt Ausnahmeregelungen für die Republik im Nordkaukasus auf

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Donnerstag ist es amtlich, was bisher nur gemunkelt wurde: Russland erklärt die »Anti-Terror-Operation« in Tschetschenien für beendet.

Das Anti-Terror-Komitee des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB teilte am Donnerstag mit, dass das »Anti-Terror-Regime« in Tschetschenien seit Mitternacht aufgehoben sei. Laut Medienberichten ist mit dieser Entscheidung auch der Abzug von 20 000 russischen Soldaten verbunden.

Die »Anti-Terror-Operation auf dem Gebiet der Tschetschenischen Republik« und die »Vereinigung aller Streitkräfte und Einheiten im Nordkaukasus« war im September 1999 per Dekret von Russlands damaligem Präsidenten Boris Jelzin angeordnet worden. Faktisch war das der Beginn des zweiten Tschetschenien-Kriegs, mit dem die Republik, die sich 1991 von Moskau losgesagt hatte, von russischen Truppen wieder unter das Dach der Verfassung gezwungen wurde. Der militärische Teil der Operation wurde bereits 2001 für abgeschlossen erklärt, doch verblieb Tschetschenien unter besonderer Verwaltung des Inlandsgeheimdienstes FSB.

Tschetscheniens Präsident Ram-san Kadyrow hatte Moskau mehrfach gedrängt, die Notstandsregelungen aufzuheben, denn sie schränkten die ihm zugesagte Autonomie erheblich ein. Kadyrow störte vor allem, dass der Flughafen der Hauptstadt Grosny für internationale Flüge gesperrt war. Daher gab es dort auch keine Zollstation, deren Einkünfte für die Chefs anderer Regionen eine zusätzliche Einnahmequelle sind. Um Moskau zu mehr Tempo bei der Abschaffung eines Zustands zu drängen, den er als persönliche Diskriminierung empfand, erklärte Kadyrow schon im März, das »Zentrum« werde die Ausnahmeregelungen am 31. März aufheben.

Damit brachte er Präsident Dmitri Medwedjew in Schwierigkeiten. Der nämlich bat das Anti-Terror-Komitee, das dem FSB untersteht, Kadyrows Vorschlag zu prüfen. Er handelte sich jedoch – in der jüngeren russischen Geschichte einmalig – eine mehr oder minder höflich formulierte Absage ein: Die Situation, so FSB-Chef Alexander Bortnikow, sei dafür noch nicht reif, gegenwärtig seien lediglich Lockerungen möglich.

Es war vor allem wohl ein spektakulärer Mord, der den Geheimdienst bewog, die Aufhebung des Ausnahmezustands um zwei Wochen zu verzögern. Im Emirat Dubai war Sulim Jamadajew erschossen worden. Dieser hatte ein aus Tschetschenen bestehendes Bataillon befehligt, das schon auf Seiten Moskaus kämpfte, als die Kadyrows noch auf Seiten der Separatisten standen. Nach dem Frontenwechsel Ahmed Kadyrows – Vater und Amtsvorgänger Ramsans – entbrannte zwischen den Clans ein Kampf um Macht und Pfründe. Moskau ließ Jamadajew und dessen Brüder fallen und überließ damit Kadyrow und seinen Racheplänen das Feld.

Eben dieser Mord, so offenbar das Kalkül der FSB-Führung, stehe der offiziellen Version entgegen, wonach Tschetschenien zur Normalität zurückgefunden hat. Ganz falsch ist diese Version indes nicht: Der bewaffnete Widerstand tendiert gegen null, in den Bergen sind nach Aussagen Kadyrows höchstens noch 100 Kämpfer aktiv. Moskau hat viel Geld in den Wiederaufbau der Republik gepumpt. In Grosny, so der Kaukasus-Experte Iwan Suchow, fühle er sich nach Einbruch der Dunkelheit heute viel sicherer als anderswo im Nordkaukasus. Der seit Jahrhunderten schwelende Konflikt der Kaukasier mit dem Zentrum hat sich nämlich in die Nachbarregionen verlagert. Auch weil die von Moskau eingesetzten Provinzfürsten von der Bevölkerung nur unzureichend oder gar nicht unterstützt werden. Kenner plädieren daher dafür, die Chefs der Regionen wieder direkt wählen zu lassen. Andernfalls wäre längerfristig der Bestand der Russischen Föderation in ihren gegenwärtigen Grenzen gefährdet.

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