Lenz drückt Tränendrüse

Zahl der Pollenallergiker steigt, aber Beschwerden sind gut zu lindern

  • Margit Mertens
  • Lesedauer: 4 Min.

Statt von Frühlingsgefühlen beflügelt zu werden, laufen bei immer mehr Menschen die Nasen, tränen die Augen oder husten die Bronchien. Etwa 30 Prozent aller Europäer leiden unter Allergien. Schätzungen der Europäische Stiftung für Allergieforschung zufolge wird im Jahr 2015 jeder Zweite betroffen sein. Die Hälfte der Allergiker reagiert auf Blütenstaub.

Der jährliche Leidensweg beginnt mit den Frühblühern Haselnuss, Erle und Birke und setzt sich fort mit Sträuchern, Kräutern und Gräsern. Die Pollensaison beginnt in letzter Zeit aufgrund der Klimaerwärmung nicht nur immer früher, sie dauert auch länger.

Eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt, dass schon fünf Prozent der Kinder an Heuschnupfen erkrankt sind. Das Fatale: »Schlimmer noch als die Einschränkung der Lebensqualität durch die Heuschnupfensymptome ist die Gefahr des sogenannten Etagenwechsels insbesondere bei Kindern«, erläutert Albrecht Bufe, Lungenexperte an der Ruhr-Universität Bochum. »Zehn bis 50 Prozent aller kindlichen Patienten mit unbehandeltem Heuschnupfen entwickeln später Asthma.« Um das zu verhindern, setzt die Medizin auf Immuntherapien, die darauf zielen, das Immunsystem langsam an die allergieauslösenden Pollen zu gewöhnen, so dass es nicht mehr überreagiert. Denn Heuschnupfen ist ein Irrtum des Immunsystems, das fälschlicherweise ein eigentlich harmloses Protein aus der Umwelt, beispielsweise Pollenkörner, als gefährlich einstuft und bekämpft.

Warum Allergien in den letzten Jahrzehnten so stark zugenommen haben, weiß niemand so recht. »Bisher weiß man, dass allergische Erkrankungen durch ein Zusammenspiel von Vererbung und Umwelteinflüssen entstehen«, erklärt Richard Peter von der Universität Ulm. Für die europaweite GABRIEL-Studie, die die Ursachen allergischer Erkrankungen bei Kindern erforscht, untersuchen er und sein Team allein in Baden-Württemberg 40 000 Schulkinder und ihr Umfeld nach allergieauslösenden Substanzen. Aber auch zunehmend sterile Lebensbedingungen stehen unter Verdacht. »Internationale Studien belegen, dass Kinder, die sich in ihrem ersten Lebensjahr auf Bauernhöfen regelmäßig in Ställen aufgehalten haben, später nahezu immun gegen Heuschnupfen und allergisches Asthma sind«, erklärt Bufe. Er will nun aus Kuhstall-Keimen ein Medikament entwickeln, das Allergien vorbeugt. Bis es soweit ist, stehen den Betroffenen andere, durchaus effektive Behandlungsformen zur Verfügung, hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nach der Prüfung aktueller Forschungsarbeiten festgestellt. »Es gibt viele unbewiesene Behauptungen über Allergien«, so Peter Sawicki, Leiter des IQWiG, »aber es gibt auch immer mehr Forschungsergebnisse, die die Fakten von den Mythen trennen.« Zum Beispiel habe sich gezeigt, dass teure und Zeit raubende Versuche, Hausstaubmilben in der Wohnung zu bekämpfen, meistens nichts nützen. Diese Milben können die gleichen Symptome hervorrufen wie Pollen. »Es ist einfach unmöglich, alle Milben zu beseitigen.« Sinnvoller sei es, die Immuntherapie, auch Hyposensibilisierung genannt, oder Beschwerden mildernde Medikamente einzusetzen.

Bei der Immuntherapie wird der Wirkstoff, ein Extrakt des Allergens, als Spritze unter die Haut oder in Form von Tropfen oder Tabletten, zum Beispiel Graspollenkapseln, unter die Zunge gegeben. Das IQWiG hat auch einige der meist verkauften Antihistaminika untersucht. Das Ergebnis: »All diese Wirkstoffe können die Allergiesymptome lindern.« Berliner Forscher von der Charité haben in einer Studie mit über 5000 Pollenallergikern gezeigt, dass auch Akupunktur bei bis zu 80 Prozent der Patienten typische Heuschnupfen-Symptome deutlich dämpft. »Uns hat besonders beeindruckt, dass sich bei Heuschnupfen ähnliche Ergebnisse zeigen wie bei chronischen Schmerzerkrankungen«, sagt Studienleiter Stefan Willich.

An der ungarischen Universität Szeged ist ein Gerät entwickelt worden, das Nasenhöhlen mit einer Kombination aus UV-A-, UV-B- und sichtbarem Licht bestrahlt. Einige deutsche HNO-Praxen bieten das inzwischen ebenfalls an. Doch viele Ärzte beurteilen die Methode zurückhaltend, da keine Langzeitstudien vorliegen. UV-Licht kann Krebs auslösen und in die Nase fällt normalerweise kein Sonnenlicht, so dass die Nasenschleimhaut nicht die Schutzmechanismen der Haut besitzt.


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