»Die Jugend engagiert sich wieder für das Land«

Kleinbauernsprecher Zayas über Perspektiven kleinbäuerlicher Landwirtschaft in Paraguay / Er ist Sprecher der Kleinbauernorganisation ASAGRAPA in der Provinz Alto Paraná im Osten Paraguays

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»Die Jugend engagiert sich wieder für das Land«

ND: Tomas Zayas, als wir uns im April 2008 das letzte Mal unterhielten, kurz vor den Wahlen in Paraguay, da waren Sie gerade dabei, unterzutauchen, weil gegen Sie verschiedene Haftbefehle vorlagen. Was ist seither passiert?
Zayas: Bereits im Oktober 2007 hatte man mich wegen verschiedener Delikte anzeigt, die ich angeblich gegen die Sojaproduzenten begangen hätte. Im März 2008 wurde ich dann wegen versuchten Totschlags angezeigt. Die »Ermittlungen« dauerten mehrere Monate, in denen die Staatsanwaltschaft keinen einzigen Beweis gegen mich vorbringen konnte. Wir haben dann selbst Anzeige gegen die Staatsanwaltschaft erstattet, wegen Amtsmissbrauchs. Die Sache endete mit dem Rücktritt des zuständigen Staatsanwalts. Im Oktober dann wurde der Vorwurf des versuchten Totschlags fallen gelassen. Drei Ermittlungsverfahren gegen mich laufen aber immer noch.

Der Hoffnungsträger Fernando Lugo ist inzwischen fast ein Jahr im Amt, aber die Verfolgungen von Kleinbauernsprechern und Aktivisten auf dem Land gehen weiter. Wie hängt das zusammen?
Das Justizwesen und die Polizei sind auch nach der Wahl ein Instrument der Großgrundbesitzer und der Colorado-Partei geblieben. Beide Organe werden über Geld gesteuert. Mit dem Wahlerfolg Lugos im Rücken haben die Landlosen Hoffnung bekommen, dass sich endlich etwas zu ihren Gunsten ändert und deshalb ist der Kampf um Land in eine neue Runde gegangen. Um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben wir Landbesetzungen organisiert. Die Polizei hat mit brutaler Verfolgung und Hunderten von Verhaftungen geantwortet. Wir haben deswegen die Intensität der Landbesetzungen zurückgefahren, dafür tragen wir unsere Forderungen um so entschiedener dem INDERT (dem Nationalen Institut für Ländliche Entwicklung, die Red.) und der Regierung vor. Die Kleinbauernorganisation ASAGRAPA fordert in Alta Paraná 70 000 Hektar Land, die sogenannte Tierra Maravilla, vor allem von Diktator Stroessner einst an Günstlinge verschenktes Land. In Paraguay haben wir rund 300 000 Landlose. Für diese bräuchten wir etwa drei Millionen Hektar Land. Das ist gar nicht so viel, wenn man bedenkt, dass der Präsident des INDERT von sieben Millionen Hektar Tierra Maravilla in Paraguay spricht, die es gelte, für den Staat zurückzu- gewinnen. Wenn uns das gelänge, dann könnten wir den Landkonflikt in Paraguay auf lange Sicht lösen. Und damit auch die Entvölkerung Paraguays, die Migration, die Umweltzerstörung, den Hunger und das Elend und die Gewalt in den Städten. Dagegen stehen jedoch die Soja- und Viehbarone, die ihren Besitz nicht nur verteidigen – sondern noch ausdehnen wollen.

Die Regierung hat damit begonnen, Land an Familien zu verteilen. Wie soll Ihrer Meinung nach eine moderne kleinbäuerliche Landwirtschaft aussehen?
Da wird es um ein ganzes Bündel von Maßnahmen gehen. Für uns Kleinbauern erfüllt das Land zwei Aufgaben: Es ist Produktionsmittel und Lebensraum. Neben der Landfrage geht es also um den Wiederaufbau ländlicher Gemeinschaften. Dazu gehören auch Handwerker und Transporteure, ein Vertriebssystem, Handelsunternehmen, um unsere Produkte an die Kunden zu bringen, Tourismus – alles was nachhaltiges Wirtschaften auf dem Land bedeutet und was Arbeitsplätze schafft. Ziel einer neuen Agrarpolitik muss es zudem sein, nicht nur Wenigen Exporterlöse zu garantieren, sondern die Ernährungssouveränität ins Zentrum zu stellen. Beides schließt sich nicht aus, aber der Staat muss sehen, dass er am Soja-Exporterfolg teil hat. Dazu gehört vor allem eine Exportsteuer, die in Brasilien fast zwanzig und in Argentinien vierzig Prozent beträgt, in Paraguay aber abgeschafft wurde. Dieses Geld brauchen wir dringend, um zum Beispiel eine umfassende Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik und des Neuaufbaus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu finanzieren.

Wenn man übers Land fährt, sieht man viele Kinder und viele Alte, aber kaum junge Menschen. Jugendliche wollen Internet, Eltern sparen es sich vom Munde ab, um ihren Kinder eine Schulbildung zu finanzieren, damit sie eine Perspektive in der Stadt oder im Ausland haben, Hunderttausende junge Paraguayer sind migriert. Wie soll das ländliche Paraguay eine Zukunft haben?
Richtig, es gab in den letzen zwei Jahrzehnten eine gewaltige Migration von jungen Menschen vom Land nach Asunción und von Paraguay in andere Länder. Jetzt gibt es aber eine neue Situation. In den Städten Paraguays gibt es ebenfalls keine Arbeit, in Argentinien arbeitet die große Mehrheit der Paraguayer hart und für sehr wenig Geld, sie werden oft als Menschen zweiter Klasse behandelt. Die Möglichkeiten, in die USA oder nach Europa zu gelangen, sind heute minimal. Ich glaube, der Prozess der Migration hat seinen Höhepunkt bereits überschritten. Dagegen gibt es im Moment wieder viele Jugendliche, die sich in der Bewegung engagieren. Bei den Landbesetzungen sind zwei Drittel junge Menschen. Ich sehe also viel Enthusiasmus und viel Hoffnung bei den jungen. Und ich glaube, dass wir den Jungen wieder eine Perspektive auf dem Land geben können, auch im 21. Jahrhundert. Wenn es uns gelingt, in Paraguay die Landfrage zu beantworten.

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