Werbung

Kraus las Luxemburg

Ein Brief mit Folgen

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 2 Min.
Kraus las Luxemburg

Manche Texte müssen immer wieder aufgelegt und neu gelesen werden. Dazu gehört ein Brief von Rosa Luxemburg an ihre Freundin, die Kunsthistorikerin Sophie Liebknecht, der ungeahnte Folgen hatte. Die bibliophile Friedenauer Presse legt jetzt eine von Friedrich Pfäfflin herausgegebene, mit wenigen erläuternden Anmerkungen und einem Nachwort versehene vollständige Fassung vor.

Vor Weihnachten 1917 schrieb Rosa Luxemburg aus ihrem Breslauer Gefängnis einen Brief an Sophie Liebknecht. Er handelt von ihrer inneren Heiterkeit, von den aktuellen Ereignissen in Russland und berichtet von einem Ereignis auf dem Gefängnishof. Dorthin wurden verschmutzte Uniformstücke auf einem von rumänischen Büffeln gezogenen Wagen transportiert. Ein Soldat schlug brutal auf die abgemagerten Tiere ein, bis die Büffelhaut eines Tieres blutig aufriss. Rosa Luxemburg schreibt in ihrem zärtlichen Brief an die Freundin, wie ihr die Tränen kamen, »und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei«. Ein Auszug aus diesem Brief erschien im Mai 1920 in der Wiener Arbeiter-Zeitung. Karl Kraus trug diesen Text kurz darauf im Berliner Bechstein-Saal einem tief beeindruckten Publikum vor und druckte ihn in der Juli-Ausgabe seiner »Fackel« ab. Daraufhin erhielt er ein anonymes Schreiben, das Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die am 15. Januar 1919 in Berlin ermordet worden waren, auf empörende Weise verunglimpfte. Kraus ermittelte als Urheberin die Innsbruckerin Ida von Lill-Rastern von Lilienbach. Er veröffentlichte auch diesen Brief und seine Antwort in der »Fackel« vom Oktober 1920. In seinem Essay über den Wiener Satiriker 1931 in der Frankfurter Zeitung nannte Walter Benjamin diese Reaktion von Karl Kraus »eine menschliche, natürliche edle Sprache«.

Zum Schluss seines kenntnisreichen Nachworts zitiert Friedrich Pfäfflin, langjähriger Leiter der Museumsabteilung im Schiller-Nationalmuseum Marbach, das Gedicht »COAGULA« von Paul Celan, das fast 50 Jahre nach besagtem Brief von Rosa Luxemburg entstand:

»Auch deine / Wunde, Rosa. / Und das Hörnerlicht deiner / rumänischen Büffel / an Sternes Statt überm / Sandbett, im / redenden, rot- / aschengewaltigen / Kolben.«

Karl Kraus – Rosa Luxemburg. Büffelhaut und Kreatur. Die Zerstörung der Natur und das Mitleiden des Satirkers. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Friedrich Pfäfflin. Friedenauer Presse. 32 S., fadengeheftete Broschur, 9,50 EUR.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal