Bulgarien sucht den Weg aus der Schattenwirtschaft

Einkommenssteuersatz von zehn Prozent ließ Einnahmen des Staates um das Zehnfache ansteigen

Der bulgarische Wirtschafts- und Energieminister Petar Dimitrow kämpft in seinem Land gegen die weltweite Krise an. Bislang recht erfolgreich und auch mit recht unkonventionellen Methoden.

Die Demonstranten zogen gerade lautstark aus dem Zentrum Sofias in Richtung Heimat ab, als wir auf dem Weg zum Gespräch mit dem bulgarischen Wirtschafts- und Energieminister Petar Dimitrow waren. Die Angst um ihre Arbeitsplätze hatte wieder einmal hunderte Arbeiter in die Hauptstadt getrieben. Sie waren in letzter Zeit oft hier – vor dem Ministerrat, dem Wirtschaftsministerium oder der Volksversammlung versuchten sie, sich Gehör zu verschaffen. Sie kamen aus Kremikowzi. Dort, vor den Toren der Hauptstadt Sofia, befindet sich das größte Stahlwerk des Landes. Rund 8000 Menschen stehen hier in Lohn und Brot. Nun droht dem Werk das Aus. Hauptaktionär Pramod Mittal, dessen älterer Bruder Lakshmi Chef des weltgrößten Stahlkonzerns Arcelor Mittal ist, hatte vor über drei Jahren für 110 Millionen Dollar 71 Prozent der Anteile von Kremikowzi gekauft.

Das Thema Kremikowzi treibt Dimitrow Sorgenfalten ins Gesicht. Als hätte er mit Wirtschafts- und Energiekrise, ankommenden und ausbleibenden Gaslieferungen und Leitungen wie Nabucco nicht schon genug Sorgen. Denn der schwarze Peter im Fall Kremikowzi ist nun bei der Regierung, die weiter ein Viertel der Anteile an dem Stahlwerk hält. Investoren boten für den Standort bereits Riesensummen, um auf dem 2000 Hektar großen Grundstück eine »umweltfreundliche Alternative« zur Stahlproduktion zu errichten: Ein Banken- und Geschäftszentrum. Eine Alternative für die Stahlwerker ist derweil nicht in Sicht.

»Pramod Mittel hat leider nicht die Eigenschaften seines größeren Bruders«, meint Petar Dimitrow fast resignierend. In der Zeit, in der die Inder das Unternehmen leiten, sei es nie aus den Schwierigkeiten herausgekommen. Und nun richteten die Arbeiter ihren Ärger gegen die Regierung. Und die steht doppelt unter Druck. Von Gewerkschaftsführern sind Worte, besser Drohungen, zu vernehmen wie: »Wenn der Staat nicht bald etwas für uns unternimmt, gibt es eine gewaltige Gegenreaktion.« Klingt nach Generalstreiksdrohung.

Es liegt auf der Hand, dass die Weltwirtschaftskrise auch an Bulgarien nicht spurlos vorbeigeht. Und Minister Dimitrow versucht auch nicht, die Krise weg- oder schönzureden. Doch er hat seinen »Laden« im Griff, auch wenn das Schicksal des Landes natürlich nicht von ihm allein abhängt. Er sieht die Lage realistisch, konstatiert eine steigende Arbeitslosigkeit, merkt aber zugleich an, dass auch die Zahl der unbesetzten Arbeitsplätze steige.

Doch Krise hin und Krise her, meint er. »Plötzlich merkten wir im Winter, das Gas kann ja stoppen.« Gasprom hätte ja auch über Griechenland oder die Türkei liefern können, warum haben sie es nicht getan? »Weil das nicht im Vertrag stand«, antwortet Dimitrow nüchtern. Ob das Gas demnächst über eine Trasse namens Nabucco (siehe Kasten) oder die Pipeline South Stream kommt, wird gerade heiß diskutiert. Für die bulgarische Regierung hat Nabucco Priorität.

Der Einkommensteuersatz ist in Bulgarien mit zehn Prozent so niedrig wie kaum anderswo. Die Straßen aber sind voll mit Luxusautos. Sicher könnten doch gerade deren Besitzer mehr bezahlen? Die Antwort von Minister Dimitrow mutet fast simpel an: »Seitdem diese Steuer bei nur zehn Prozent liegt, sind die Einnahmen des Staates erheblich gestiegen, weil die Leute diese zehn Prozent bezahlen. Beim alten progressiven Steuersystem nahmen die Finanzämter jährlich rund 2,5 Milliarden Lewa ein. Jetzt sind es 25 Millionen Lewa. »Wir sprechen hier von Schattenwirtschaft, die ins Helle muss«, so Dimitrow.

Auf die Frage, welche Wachstumsprognose für das Land er wagt, antwortet Dimitrow augenzwinkernd: »Ich bin weder Putin noch Obama und kann nicht mit präzisen Prognosen aufwarten.«

Zu Beginn des Gesprächs meinte der Minister: »Ich hoffe, dass Sie mit einem guten Gefühl für Bulgarien abreisen«. Das gute Gefühl ist auch danach noch da. Doch es kann trügerisch sein: Im Sommer sind Parlamentswahlen, der genaue Termin steht noch in den Sternen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf Anhieb eine arbeitsfähige Regierungsmehrheit zustande kommt, ist laut Umfragen gering.

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