Diktate wie in Kolonialzeiten

Vertreter der Staatengemeinschaft versammeln sich, eine gewichtige Minderheit übt Boykott

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 6 Min.
In Genf tagt seit gestern die UN-Konferenz gegen Rassismus. Eigentlich sollte bis Freitag über Fortschritte im Kampf gegen Diskriminierung seit der vorangegangenen Konferenz im Jahre 2001 debattiert werden. Doch längst haben andere Themen den ursprünglichen Gesprächsgegenstand in den Hintergrund gedrängt.

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte bis zuletzt nichts unversucht gelassen, um der am Montag begonnenen Antirassismuskonferenz der Vereinten Nationen eine möglichst universelle Teilnahme zu sichern. Vor allem ging es ihm um die USA. Wäre es Ban gelungen, deren Präsident Barack Obama umzustimmen und offizielle USA-Vertreter ins Internationale Konferenzzentrum von Genf zu bringen, hätten wohl auch die meisten anderen Staaten, die nun in der Schweiz fehlen, ihre Boykottpläne noch einmal bedacht.

Doch die Chancen dafür waren in den vergangenen Tagen immer schlechter geworden. Israel hatte bereits seit langem Ablehnung signalisiert, und als sich Mitte März auch die neue USA-Regierung den israelischen Standpunkt zu Genf zu eigen machte und aus gleichem Grunde wie Israel Boykott ankündigte, war klar, dass sich weitere, speziell in puncto Nahostpolitik, verbündete Staaten anschließen würden. Fest stand damit ebenso, dass den Sachthemen der Konferenz allenfalls Nebenrollen verblieben.

Selbst eine totale Absage der Veranstaltung war im Gespräch und hätte wohl besonders den israelischen Intentionen entsprochen. Dies massiv zu fordern unterließ die neue Besatzung im Washingtoner State Department allerdings. Denn es hätte für sie dabei wenig zu gewinnen gegeben. Ein Stattfinden der Konferenz gegen den ausdrücklichen Wunsch der USA wäre wohl als erste schwere außenpolitische Schlappe Obamas interpretiert worden. Aber selbst wenn die USA eine Absage durchgesetzt hätten, wäre die damit verbundene offene Brüskierung der Mehrzahl der arabischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten ein kaum wünschenswertes Resultat gewesen.

Eigentlich sollte die Genfer Konferenz prüfen, ob es seit der Antirassismuskonferenz im südafrikanischen Durban 2001 (siehe Beitrag links) Fortschritte bei der Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Rassismus gegeben hat. Die Bilanz wäre durchaus interessant gewesen, ebenso ihre vermutlich recht unterschiedliche Bewertung durch westeuropäische und Drittweltstaaten.

Jetzt aber fokussiert sich alles auf die Aussage, die die Konferenz zu Israel trifft, und darauf, ob sie in Israels Politik gegenüber den Palästinensern rassistische Aspekte sieht. Aber selbst nach der Zusage, dass es einen entsprechenden Satz im Abschlussdokument nicht mehr geben soll – nach massivem Druck des Westens –, bleibt es nun bei der Nichtteilnahme einiger Staaten. Denn auch israelkritische Redebeiträge haben die boykottierenden Staaten für nicht hinnehmbar erklärt. Israel will keinerlei Anklage seiner Politik gegenüber den Palästinensern dulden, ganz besonders nicht vom iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Abstrakt betrachtet handelt es sich bei der Boykott-initiative Israels und der USA also um die bedingungslose Ablehnung von Standpunkten, die auf einem UNO-Podium geäußert werden, noch ehe man sie im einzelnen kennt.

Angeschlossen haben sich der israelisch-US-amerikanischen Position vor allem eine Handvoll westeuropäischer Staaten, darunter Deutschland, sowie Australien und Kanada. Teilweise wird die Konferenzabsage allein mit der Präsenz Ahmadinedschads in Genf begründet. Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, sieht darin einen hinreichenden Boykottgrund. Außerdem sprach Nooke von »Unberechenbarkeit des Konferenzverlaufs und eben dieser Instrumentalisierung einer Antirassismuskonferenz, um doch wieder nur einseitig ein Land, Israel, an den Pranger zu stellen«. Dafür erhält die Bundesregierung zwar Beifall aus Israel und vom Zentralrat der Juden in Deutschland, doch bleibt dies offensichtlich international ein Minderheitsstandpunkt. Ban Ki Moon und die UN-Hochkommssarin für Menschenrechte, Navi Pillay, erklärten, sie seien über das Fernbleiben »schockiert« und »tief enttäuscht«.

Auch 23 von 27 EU-Staaten sehen dies anders als Berlin. Frankreich erklärte, es sehe keinen Grund, von der Teilnahme an einer UNO-Konferenz Abstand zu nehmen, nur weil man möglicherweise auf andere Standpunkte treffe. Im übrigen sei das Abschlussdokument akzeptabel. Israel werde darin nicht stigmatisiert. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte am Wochenende »an alle Teilnehmer appelliert, sich zur wirksamen Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung zu bekennen und die bevorstehende Konferenz nicht anderweitig zu instrumentalisieren«. Eine indirekte Antwort darauf erhielt er von Österreichs Außenminister: »Nur wer teilnimmt, kann mitreden«, kritisierte Michael Spindelegger.

Kritik kommt auch aus Deutschland selbst, neben der LINKEN (siehe unten) auch aus den Regierungsparteien. So meint der CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer, man könne die Teilnahme nicht davon abhängig machen, ob ein Redner einem passe oder nicht. Unsinnige Äußerungen, die bei dem Treffen möglicherweise vorkämen, müsse man direkt an Ort und Stelle zurückweisen, forderte der einstige Verteidigungsstaatssekretär. Das wissen Vertreter aus über 170 Staaten, Steinmeier weiß es offenbar nicht.


Hintergrund

An Israel scheiden sich die Geister

Bereits bei der ersten großen Konferenz gegen Rassismus, die 1978 tagte, hatten die Mehrheit der arabischen und afrikanischen sowie die sozialistischen Staaten Israel wegen seiner zionistischen Ideologie an den Pranger gestellt. Initiiert wurde die Konferenz von der UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), um rassistischen Ideologien und Verhaltensweisen entgegenzutreten.

Bei der Konferenz in Durban 2001 überlagerte der Nahostkonflikt alle Diskussionen. Vor allem Palästinenser und Syrer griffen Israel vehement als rassistischen Staat an, der die Menschenrechte der Palästinenser verletze. Ihre Sache wurde von einer parallel stattfindenden Konferenz von Nichtregierungsorganisationen unterstützt, die Tausende Sympathisanten mobilisierten. Die Vertreter Israels und der USA verließen Durban unter Protest. Als Erfolg der Konferenz gilt die Einigung auf ein Aktionsprogramm. Außerdem bekannte sich der Westen im Schlussdokument beim Thema Sklaverei zu seiner historischen Verantwortung für Afrika.

1983 in Genf hatten sich die Geister ebenfalls an Israel geschieden, aber auch am Rassismus in Südafrika. Die USA und Israel blieben dem Treffen fern. Die meisten westlichen Staaten stimmten gegen die Schlusserklärung oder enthielten sich der Stimme.

Schon die erste Konferenz 1978 war mit einem Eklat zu Ende gegangen. Damals verließen die neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft (der heutigen EU) sowie Norwegen, Kanada, Australien und Neuseeland die Konferenz. Die USA, Israel und Südafrika hatten sich erst gar nicht beteiligt. Stein des Anstoßes war eine Passage, in der Israel für die »rassistische Diskriminierung der Palästinenser« verantwortlich gemacht wurde. ND/dpa


Zur Sache

Erklärung der Linkspartei-Abgeordneten Sevim Dagdelen und Norman Paech zur Genfer Konferenz gegen Rassismus:


»Neben den USA will auch Deutschland auf neokoloniale Art und Weise bestimmen, über wen und was die internationale Gemeinschaft zu diskutieren und zu urteilen hat«, kritisiert Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der LINKEN, die Entscheidung der Bundesregierung, nicht an der Anti-Rassismus-Konferenz der UNO in Genf teilzunehmen.

Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Fraktion, wirft der Bundesregierung vor, damit vor einer Auseinandersetzung über Rassismus, der auch in der Bundesrepublik anzutreffen ist, zu kneifen. »Es ist absurd, dass ausgerechnet Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier an alle Teilnehmer der Konferenz appelliert hat, sich zur wirksamen Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung zu bekennen und die bevorstehende Konferenz nicht anderweitig zu instrumentalisieren. Nun instrumentalisiert die Bundesregierung die Teilnahme des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, um sich wegen der Nichteinhaltung zahlreicher in Durban eingegangenen Verpflichtungen nicht der Verantwortung stellen zu müssen.«

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