Die eigene Schule im Herzen tragen

Die »Grundschule im Grünen« am Rande Berlins will mehr sein als reiner Lernort

  • Sabine Sölbeck
  • Lesedauer: 5 Min.
Deutsche Schulen können hervorragende Bildungseinrichtungen sein. Daran wurde anlässlich der Vergabe des Deutschen Schulpreises Ende vergangenen Jahres erneut erinnert. Zu den prämierten Schulen gehört die »Grundschule im Grünen« in Berlin. Ihre Besonderheit: Natur und Tierhaltung sind elementare Bestandteile des Schulalltags.

Was hatte sich Tobias Barthl gedacht, als er 1991 die »Grundschule im Grünen« in Berlin gründete? Der Schulleiter war damals gerade 27 Jahre alt. Der Anfang, erinnert er sich, war wie alle Anfänge: wunderschön. Man konnte sich ausleben und Ideen umsetzen. Barthl war ökologisch orientiert, Mitglied bei Greenpeace und ist noch heute engagiert bei den Grünen. Mit 13 Mitarbeitern hat es angefangen. Während seines Lehrerstudiums in Magdeburg und Berlin war ihm aufgefallen, dass der Abstand zur Natur in der Stadt groß, die Wahrnehmung der Natur mit der Größe der Stadt sogar größer wurde. Könnte man da etwas ändern? Mit einer Schule, die mit Natur und Tierhaltung in Berlin zu tun hat? Das Konzept stand, dann kam die Schule. Fast ein Wunder. Es gab eine Ausschreibung, er bewarb sich und kam als Leiter an diese Schule. Eine Grundschule im Grünen am Rand von Berlin nahe des Malchower Sees. Hier war sogar Tierhaltung möglich. Tobias Barthl zeigt auf eine schwarz-weiß Fotografie: Aus Kreuzberg holten sie ihr erstes Tier, die Loni, ein Kamerunschaf.

Ziegen, Hasen und Meerschweinchen

Es bleibt nur wenig Zeit für Geschichte und Geschichten. Die Schule ist ein lebendiger Organismus und Tobias Barthl ist an der Grenze seiner Belastbarkeit angekommen. Mit seinem Konzept möchte er weiter, doch bestimmte Bedingungen hemmen ihn: oft finanzielle Mittel. Mit seinem Team ist er absolut zufrieden. Daraus schöpft er Kraft. Und daraus, dass die Schüler sich erstaunlich stark mit ihrer Schule identifizieren. Die »Grundschule im Grünen« ist eine der »anderen« deutschen Schulen. Deshalb war sie auch Preisträger des deutschen Schulpreises. »Wenn wir zehn Prozent der Schüler so erreichen, dass sie die ›Grundschule im Grünen‹ mit ihren Ideen im Herzen tragen«, sagt der Leiter, »dann haben wir viel erreicht. Heute sind es fünfzig Prozent, also haben wir unser Ziel übertroffen.«

Mit dem Herzen dabei sein? Vier Mädchen der sechsten Klasse sind es. Sie bedauern, dass sie demnächst auf das Gymnasium oder die Realschule wechseln müssen. Es ist Bauernhoftag für die Fast-Teenager. Laura, Tabea, Lisa und Sara haben die Aufgabe, die Ställe der Tiere auf der Knirpsenfarm zu säubern. Sie stehen mit dem Rechen in der Ziegenbox und fegen den Boden. Andere Schüler misten das Haus der Hasen und Meerschweinchen aus. Ein Schwein läuft grunzend vorbei, Gänse schnattern, Hühner gackern. Im Keller des Schulgebäudes schneiden Schüler Möhren und Rüben für die Fütterung. Hier stehen die Käfige der Hamster, Chinchillas und die Aquarien, die gereinigt werden. Die Schüler wirken bei ihrer Arbeit konzentriert und ausgeglichen. Aktuell sind sie 460 Schüler, 45 Lehrer und Erzieher sowie 180 Tiere. Ein Signal in Form einer Schulklingel gibt es nur, wenn es zum Hof rein oder raus geht, denn der Hof mit den Tieren ist weitläufig.

An diesem Tag hat sich eine Gruppe Erzieher aus Den Haag eingefunden. Tobias Barthl führt sie herum. Sie studieren die Arbeitsweise dieser Grundschule, um Impulse zu bekommen. Besonders interessant finden sie die enge Zusammenarbeit von Lehrern und Erziehern in den Lerngruppen. Denn Lehrer und Erzieher arbeiten immer als Team. Lerngruppen bestehen altersübergreifend von der ersten bis vierten Klasse. Eine Benotung von Leistungen erfolgt ab der fünften Klasse. Eltern werden aktiv ins Unterrichtsgeschehen einbezogen. Als Lernpaten, Lesepaten, Unterstützer oder Begleiter. Die Erzieher aus Den Haag stellen viele Fragen. Haben die Schüler beispielsweise immer das Gefühl in der Schule zu sein, wenn Lernen und Freizeit im gleichen Raum stattfinden? Fragen sie die Schüler, antwortet Tobias Barthl, natürlich wäre es schön, mehr Platz zu haben, aber mit mehr Platz beginnt auch die Trennung. Das Lehrerzimmer sei zwar klein, aber die Zusammenarbeit sei automatisch intensiver. Es gäbe weniger Dialog, wenn das anders wäre.

Zeit nehmen für Gespräche mit den Schülern

Einmal in der Woche wird der Strom und Wasserverbrauch abgelesen. Das Unterrichtsfach heißt Umweltlehre. Schüler aus der Lerngruppe vier bis sieben gehen zum Stromkasten im Keller und schauen auf die Anzeigetafel der Solarstromanlage. Sie diktieren der Erzieherin Simone Fürstenberg die Verbrauchszahlen. Die Ergebnisse werden später diskutiert. Zum Beispiel wird sie die Frage beschäftigen, wie der Verbrauch reduziert werden könnte oder ob sie gut gewirtschaftet haben. Diese Schule ist nicht für eine Elite gemacht. Sie weist eine gute soziale Mischung auf. 17 Prozent der Schüler kommen aus bedürftigen Familien, gute neun Prozent sind hochbegabt, acht Prozent sind Integrationskinder mit Beeinträchtigungen. Das Interesse der Eltern ist sehr groß, die Nachfrage übersteigt bei Weitem das Angebot. Tobias Barthl hofft auf einen Ergänzungsbau, doch das Geld dafür fehlt. Die nächste Wahl muss abgewartet werden, das heißt die Entwicklung der pädagogischen Schullandschaft in Berlin.

Auch wenn Tobias Barthl viel erreicht hat, er ruht sich nicht aus. Sein Wille zu weiteren Verbesserungen ist offensichtlich. So kritisiert er die schlechte Bezahlung von Erziehern. Der Lehrermangel macht ihm Sorgen. Er hofft im nächsten Jahr auf zwei Neueinstellungen. Es ist problematisch, sich immer nur mit Personalkostenbudgetierungslehrern zu helfen, die nur ein halbes oder ein Jahr vor Ort sind. Für neue pädagogische Impulse lässt er gern junge Leute, Studenten oder Projektarbeiter zu. Externe können sich gern als Lese- oder Lernpaten melden. Die Finanzierung der Schule läuft über Ehrenamt, Sponsoring und die massive Unterstützung durch den Verein »Malchower Grashüpfer«. Rein über die Finanzen und Personalmittel der Schule wäre die Schule nicht haltbar. Im Jahr benötigen sie mindestens 80 000 Euro. Es ist eigentlich nicht »eine kleine« Schule, es ist die drittgrößte im Bezirk Lichtenberg, verteilt auf zwei getrennt liegende Gebäude.

Und die Schülerherzen? In der »Grundschule im Grünen« sollen die Kinder vor allem Zeit erhalten, um sich fallen zu lassen, um ihre Erfahrungen zu machen. Diese kleinen Impulse sind vielleicht nicht messbar, wir können sie nicht abrechnen oder einen PISA-Test daraus machen. Doch die Kinder haben die Möglichkeit, sich auszuprobieren, andere teilhaben zu lassen, sich selbst ein Ziel zu setzen, ohne es den Erwachsenen zu sagen oder sagen zu müssen. Das ist das Grundthema: Was erwartet man von Schule? Erfolge. Und was brauchen die Kinder? Dass man sich Zeit nimmt für Gespräche, sagt Tobias Barthl. Zeitnehmen bedeutet eben nicht, über die Kinder hinweg zu unterrichten und zu bilden.

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