Allmähliche Annäherung am Ararat

Armenien und Türkei vereinbaren Fahrplan zur Normalisierung ihrer Beziehungen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Außenminister Armeniens und der Türkei haben am Mittwoch unter Vermittlung der Schweiz einen Fahrplan zur Normalisierung ihres Verhältnisses verabschiedet. Beide wollen »gutnachbarliche Beziehungen auf der Grundlage gegenseitiger Achtung herstellen und damit einen Beitrag zu Frieden, Stabilität und Sicherheit in der Region« leisten, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Bisher ist nicht bekannt, ob und – wenn ja – wann Ankara und Jerewan volle diplomatische Beziehungen aufnehmen werden. Armenien hatte diese Beziehungen 1993 abgebrochen. Unmittelbarer Anlass waren neue Kämpfe um Bergkarabach, jenes von Armeniern bewohnte Gebiet, das zu Aserbaidshan gehört und sich 1988 einseitig für unabhängig erklärt hatte. Um einen Korridor in das Gebiet zu öffnen, das keine direkten Grenzen zu Armenien hat, besetzten dessen Truppen 1993 aserbaidshanisches Territorium, das nicht zu Bergkarabach gehört. Aus Solidarität mit den Aserbaidshanern – den engsten ethnischen Verwandten der Türken – schloss Ankara damals seine etwa 300 Kilometer lange Grenze zu Armenien, das seither nahezu den gesamten Außenhandel über Iran abwickeln muss.

Die Öffnung der Grenzen, die Armenien den Zugang zum westeuropäischen Markt erheblich erleichtern würde, wäre der erste Schritt zur Entkrampfung des historisch belasteten armenisch-türkisch Verhältnisses. Im Ersten Weltkrieg hatte das mit Deutschland verbündete Osmanische Reich die auf seinem Gebiet lebenden Armenier der Kollaboration mit Russland verdächtigt und sie 1915 in die Wüsten Mesopotamiens deportiert. Dabei starben 1,5 Millionen Menschen. Armenien spricht von Völkermord und begeht den 24. April als Genozid-Gedenktag. Die Türkei bezeichnet die damaligen Deportationen als »kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahme«, bestreitet die hohe Zahl der Opfer und lehnt eine Entschuldigung ab.

Auch deshalb stand Armenien bisher treu zu seiner historischen Schutzmacht Russland und hatte, lange vor dem Augustkrieg um Südossetien, ein ausgesprochen kühles Verhältnis zu Georgien und dessen NATO-Beitrittsbestrebungen. Jerewan fürchtet – und sah sich durch Äußerungen von USA-Präsident Barack Obama Anfang April in Ankara bestätigt –, dass die Allianz der Türkei beim Krisenmanagement im Südkaukasus eine tragende Rolle zugedacht hat. Das aber würde bedeuten, dass vor allem türkische Kontingente in die ehemals sowjetischen Stützpunkte in Georgien einreiten würden, die Moskau räumen musste. Bei dieser Vorstellung sträubt sich armenischen Politikern fraktionsübergreifend das Nackenhaar.

Als Sersh Sarkisjan, der einst die Selbstverteidigungskräfte in Bergkarabach befehligte, im März 2008 Präsident Armeniens wurde, glaubten Experten, die Kluft zur Türkei und zum Westen würde sich weiter vertiefen. Doch Sarkisjan erwies sich als Pragmatiker: Als Armenien und die Türkei im September 2008 in Jerewan ihr Qualifikationsspiel für die Fußball-WM austrugen, war der türkische Präsident Abdullah Gül mit dabei. Sarkisjan will den Besuch im Oktober erwidern. Und bei den NATO-Manövern in Georgien Anfang Mai, an denen sich 19 Staaten – darunter auch Nichtmitglieder – beteiligen, ist Armenien bis jetzt ebenfalls dabei.

Kasachstan hat auf Drängen Russlands inzwischen abgesagt, und von Sarkisjan, der gerade in Moskau über Wirtschaftshilfe für seine krisengebeutelte Republik verhandelt, erwartet der Kreml ebenfalls einen Rückzieher. Als Druckmittel dient auch Bergkarabach. Würde Moskau, das bisher Armenien unterstützte, sich nämlich auf die Seite Aserbaidshans schlagen, könnte Russland sich auch den Löwenanteil der aserbaidshanischen Gasförderung sichern. »Nabucco« – jene Pipeline, mit der die EU sich unter Umgehung Russlands den Zugriff auf die Vorkommen der Kaspi-Region verschaffen will – hätte sich dann wohl erledigt. Mit eben dieser Strategie ging Dmitri Medwedjew Ende letzter Woche in die Konsultationen mit Aserbaidshans Präsidenten Ilham Alijew.

Der armenisch-türkische Fahrplan könnte diese Strategie jedoch durchkreuzen. Für eine nachgiebigere armenische Position im Bergkarabach-Konflikt boten die Türkei und Aserbaidshan schon früher die Öffnung ihrer Grenzen und eine Beteiligung am Projekt »Nabucco« an. Gewinnen würden dabei alle drei und Westeuropa gleichfalls. Weil der Umweg über Georgien entfiele, würde die Pipeline sehr viel kürzer und billiger. Russland wäre der Verlierer. Auch Sarkisjan kennt diese Zwänge und dürfte sich Loyalität daher sehr hoch bezahlen lassen.

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