Island rückt in der Krise nach links

Bei den Parlamentswahlen zeichnet sich Mehrheit für Sozialdemokraten und Links-Grüne ab

  • Irina Domurath, Reykjavik
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Sonnabend finden in Island vorgezogene Parlamentswahlen statt. Während die Sozialdemokraten und das Links-Grüne Bündnis auf Stimmenzuwächse hoffen können, wird der Wahlkampf der Konservativen von Korruptionsvorwürfen überschattet. Maßgebend wird außerdem sein, wie sich die Parteien zu einem EU-Beitritt Islands positionieren.

Seitdem die konservativ-liberale Regierungskoalition Islands im Januar nach wochenlangen Protesten auf den Straßen zerbrach, stellt die sozialdemokratische Allianz mit den Links-Grünen eine Übergangsregierung unter Interimspremierministerin Jóhanna Sígurdardóttir. Die ehemalige Flugbegleiterin mit einem Diplom in Wirtschaftswissenschaften war bereits zwei Mal Sozialministerin Islands und genießt einen tadellosen Ruf als bodenständige Politikerin, die sich während ihrer gesamten Laufbahn für sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten eingesetzt hat. Ihre Ernennung wurde parteiübergreifend und in der gesamten Bevölkerung begrüßt. Auf dem Parteitag der Sozialdemokraten Ende März wurde sie von 98 Prozent der Delegierten zur Parteivorsitzenden gewählt.

Sígurdardóttir, Mutter zweier Söhne und nunmehr offen in einer homosexuellen Beziehung lebend, darf sich gute Chancen ausrechnen, zur ersten Regierungschefin des Landes gewählt zu werden. Aktuellen Umfragen zufolge wird ihre Partei mit über 30 Prozent der Stimmen stärkste Kraft im nächsten Parlament.

Auf mehr Wähler als beim letzten Urnengang können auch die Links-Grünen unter Führung des vorübergehenden Finanzministers Steingrímur Sígfússon hoffen. Die Umfragen verzeichnen einen Stimmzuwachs gegenüber den Parlamentswahlen im Jahr 2007 von 14,3 auf 26 Prozent. Damit wären die Links-Grünen zweitstärkste Kraft im Parlament und Kandidat für eine Regierungskoalition. Die Partei dürfte außerdem durch die aufkeimende Umweltschutzbewegung in Island neue Stimmen gewinnen. Nachdem unter der konservativen Regierung der letzten 18 Jahre mehrere Aluminiumschmelzen und ein umweltrechtlich hoch umstrittener Staudamm gebaut wurden, befürchtet die Bevölkerung einen Ausverkauf ihrer Umwelt.

Die konservative Unabhängigkeits- und die liberale Fortschrittspartei werden Einbußen hinnehmen müssen. Beide Parteien beherrschten Islands Politik seit den 1990er Jahren und werden daher für den Zusammenbruch des wirtschaftlichen Systems verantwortlich gemacht. Die Unterstützung für die Liberalen fiel um zwei auf knapp zehn Prozent, die für die Konservativen von über 45 Prozent vor etwa zehn Jahren auf jetzt 25,7.

Mitten im Wahlkampf haben beide Parteien außerdem mit Korruptionsvorwürfen zu kämpfen. Das Justizministerium und die Medien veröffentlichten bereits mehrere Dokumente und Berichte über die Finanzinstitute Landsbanki und Glitnir, die belegen, dass sie in den Jahren 2002 und 2003 im Zuge ihrer Privatisierung unter Mitgliedern beider Parteien aufgeteilt wurden. Die Unerfahrenheit der neuen Bankeigentümer und ihre auf ständige Kredite aufgebaute Geschäftspolitik sollen maßgeblich zum Zerfall des Bankensektors beigetragen haben. Beide Parteien versuchen jetzt einen Neuanfang und wählten ihrerseits im März jeweils junge Parteivorsitzende, die nicht in die Politik der letzten Jahre involviert waren.

Die Wahlen werden auch Islands Zukunft im Hinblick auf einen möglichen EU-Beitritt entscheiden. Die Links-Grünen und die Konservativen lehnen einen EU-Beitritt insbesondere wegen der europäischen Fischereipolitik ab. Die Ausfuhr von Fisch macht etwa 70 Prozent der isländischen Exporte aus und ist damit der wichtigste Wirtschaftsfaktor, weit vor alternativen Energien und Aluminium. Darüber hinaus haben die Isländer mit ihrem Fangquotensystem das Problem der Überfischung im Gegensatz zur EU erfolgreich in den Griff bekommen, wenngleich auch dieses System in der Bevölkerung nicht unumstritten ist.

Die sozialdemokratische Allianz und die Fortschrittspartei favorisieren dagegen einen Beitritt zur EU. Sie befinden sich damit im Konsens mit Wirtschaftsexperten, welche die Abschaffung der isländischen Krone und die Einführung des Euro für unumgänglich halten, um die so dringend benötigte wirtschaftliche Stabilität im Land wiederherzustellen. Allerdings plädieren sowohl die Befürworter der Allianz als auch die ablehnenden Links-Grünen für Beitrittsverhandlungen mit der EU und einen anschließenden Volksentscheid. EU-Ratspräsident Tschechien und Nachfolger Schweden haben sich bereits für einen schnellen Beitritt Islands ausgesprochen.

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