Welche Hilfe braucht Afghanistan?

Norman Paech über seine Eindrücke vom Wiederaufbau des Landes

  • Lesedauer: 3 Min.
Der 71-jährige Jurist Norman Paech ist  außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.
Der 71-jährige Jurist Norman Paech ist außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

ND: Sie haben kürzlich Afghanistan besucht. Welchen Eindruck haben Sie von der politischen Lage?
Paech: Sie wird sowohl von Ausländern als auch von den Afghanen als sehr prekär eingeschätzt. Das betrifft nicht nur die Situation der Regierung, die als durchgängig korrupt und politisch wenig durchsetzungsfähig angesehen wird. Der Ruf von Präsident Hamid Karsai ist ziemlich am Boden. Für die Justiz und das Parlament gilt das gleiche. Alle drei Elemente eines demokratischen Staates haben also derzeit gar keine Reputation. So sieht man den Wahlen am 20. August mit äußerst gemischten, wenn nicht ablehnenden Gefühlen, entgegen.

In Deutschland machte ein frauenfeindliches afghanisches Gesetz Schlagzeilen. War das auch in Afghanistan ein großes Thema?
Ja. In diesem Familiengesetz für die Schiiten wird die Rolle der Frau ins Mittelalter zurückversetzt. Das hat großen Widerstand hervorgerufen. Es gab eine Demonstration von Frauen – eine ganz außergewöhnlich Sache. Hinter dem Gesetz stehen sehr extremistische Mullahs, mit denen Karsai wohl einen Deal für die Wahlen machen wollte. Nun wird es erneut überprüft. Die Schiiten, die ich traf, betonten, es sei nur das Gesetz bestimmter Kreise. Die meisten von ihnen lehnten es ab.

Sie haben sich in Kundus »Provincial Reconstruction Teams« (PRT) angesehen, in denen Organisationen gemeinsam mit dem Militär Aufbauhilfe leisten. Funktioniert diese Kombination?
Sie selbst sagen natürlich Ja und verweisen auf eine Reihe von Projekten. Allerdings wurde jetzt ein Papier veröffentlicht, in dem über 120 Nichtregierungsorganisationen scharfe Kritik an den PRT üben. Im Zentrum steht die militärische Infizierung dieser zivilen Projekte, die sie immer wieder zur Zielscheibe von Angriffen macht. Die Verbindung des Militärischen mit dem Zivilen wird nicht als eine gute Idee angesehen.

War das auch Ihr Eindruck?
Ja. Ich wollte ein Projekt der Welthungerhilfe in der Nähe von Kundus besuchen. Aber da das nur mit militärischem Schutz möglich ist, weil die Straße dorthin oft unter Feuer liegt, konnte ich nicht hinfahren. Die Welthungerhilfe lehnt jegliches Erscheinen der Bundeswehr in ihrem Projektbereich ab. Daher musste der Projektleiter zu mir ins Camp kommen.

Was wäre dann Ihr Gegenvorschlag zu den PRT?
Mein Vorschlag ist der Abzug des Militärs. Selbst wenn mir viele Afghanen gesagt haben, dass dann ein Bürgerkrieg entfacht würde, so habe ich auch Gegenmeinungen gehört. Denen zufolge wäre natürlich mit starken Auseinandersetzungen zu rechnen. Die aber müssen vom afghanischen Volk selbst bewältigt werden: auf Basis der eigenen Kultur und eigener Möglichkeiten der Versöhnung. Ich halte das Militär nicht für ein Moment der Lösung, sondern für ein Problem, das die Polarisierung in der Bevölkerung vorantreibt.

Konnten Sie auch ohne Begleitung durchs Land reisen?
Ja, das musste ich aber gegen den Widerstand des Auswärtigen Amtes durchsetzen. In der Region Bamiyan, deren Gouverneurin ich besuchte, gibt es keine Überfälle, obwohl es eines der von den Taliban am meisten heimgesuchten Gebiete war. Hier hatten sie auch die beiden Buddha-Statuen zerstört. Dieser Landstrich ist vollkommen vernachlässigt worden. Es gibt kaum Wiederaufbauprojekte. Dabei ist es dort so sicher, dass ich mich vollkommen frei bewegen konnte. So kamen wir in den Dörfern in sehr informativen Kontakt mit den Menschen.

Fragen: Oliver Händler

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