Millimeterarbeit am Nukleus

Hirnstimulation kann Parkinson-Patienten helfen

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Hirnstimulation bietet Parkinson-Patienten die Chance auf eine Besserung ihrer Beschwerden. Gleichzeitig birgt sie aber auch große Risiken.

Rund 250 000 Menschen leiden in Deutschland an Morbus Parkinson. Dabei sterben im Gehirn jene Nervenzellen ab, die den Botenstoff Dopamin produzieren. In der Therapie beobachtete Lars Timmermann von der Universitätsklinik Köln während des vergangenen Jahrzehnts eine 180-Grad-Wende. »Früher versuchte man die Gabe von Medikamenten möglichst lange hinauszuzögern«, sagt der Neurologe. »Heute wollen wir den Patienten von Anfang an eine hohe Lebensqualität ermöglichen.« Mediziner können inzwischen auf ein wachsendes Arsenal von Medikamenten zurückgreifen. Doch die Präparate bessern zwar die Symptome, aber den Verlauf der unheilbaren Krankheit beeinflussen sie nicht.

Wenn Arzneimittel die Bewegungsstörungen nicht mehr lindern, erwägen Mediziner den Einsatz der Tiefen Hirnstimulation. Elektrische Impulse sollen in einer bestimmten Hirnregion, den Basalganglien, verhindern, dass die dortigen Zellverbände krankhaft im Gleichtakt feuern und so die Steifheit und das Zittern auslösen, die für die Erkrankung so typisch sind.

Bekannt ist das Verfahren schon seit den 1990er Jahren, in Deutschland wurde es laut Timmermann bisher rund 5000 Mal eingesetzt. Dass es helfen kann, steht außer Frage: In einer gerade publizierten US-Studie verlängerte es binnen sechs Monaten die tägliche Zeit der Patienten ohne motorische Probleme um durchschnittlich fast fünf Stunden. In der Vergleichsgruppe verhinderte die konventionelle Therapie lediglich eine Verschlimmerung solcher Beschwerden. Vor allem aber steigerte die Hirnstimulation die Lebensqualität der meisten Menschen, die im Mittel schon zwölf Jahre an Parkinson litten und nun nicht nur wesentlich mobiler waren, sondern auch deutlich weniger Medikamente brauchten.

»Einem unserer Patienten ging es so gut, dass er aufs Haus stieg, um das Dach zu reparieren. Dabei stürzte er und brach sich beide Beine«, erzählt Studienleiterin Fran Weaver vom Hines Veterans Affairs Hospital bei Chicago. Dies deckt sich mit den Erfahrungen des Neurologen Günther Deuschl von der Uniklinik Kiel, der vor einigen Jahren die erste große Studie zur Hirnstimulation leitete. »Viele Menschen profitieren davon«, sagt der Neurologe und warnt im gleichen Atemzug vor übertriebener Euphorie. Denn das Einpflanzen der Elektroden erfordert eine mehrstündige Operation. Dabei führen Ärzte dünne Drähte durch die Schädeldecke, meist in das Areal des subthalamischen Nukleus. Während die Mediziner noch nach der optimalen Position suchen, prüfen sie schon die Wirkung der Stimulation an den Patienten, die lediglich örtlich betäubt sind.

Beim Setzen der Elektroden kommt es auf jeden Millimeter an. »Exaktes Arbeiten ist entscheidend«, sagt Deuschl. Dem Experten zufolge sind fehlpositionierte Elektroden die häufigste Ursache dafür, wenn das Verfahren nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Den batteriebetriebenen Pulsgeber, dessen Lebensdauer bei rund fünf Jahren liegt, verstauen die Ärzte meist in der Brust. Nach dem Eingriff vergehen gewöhnlich noch Monate, bis Impulsstärke und Medikamente optimal aufeinander eingestellt sind. In der US-Studie erlitten 40 Prozent der so behandelten Patienten Komplikationen. Meist handelte es sich um Stürze, aber etliche Personen erlitten auch Infektionen, ein Patient starb sogar kurz nach dem Eingriff. Das Risiko für schwerste Probleme wie Tod oder Lähmungen schätzt Deuschl grob auf etwa 0,4 Prozent. Andere Nebenwirkungen sind subtiler. Manche Menschen überschätzen sich nach dem Eingriff, andere fallen in Depression. »Wir greifen mit der Operation auch in psychische Vorgänge ein«, sagt Deuschl.

Gerade wegen der vielfältigen Komplikationen müsse man bei jedem Patienten Nutzen und Risiken sorgfältig gegeneinander abwägen, sagt Timmermann: »Wir müssen sehr gut auswählen.« Menschen, die an einer psychischen Erkrankung oder an Demenz leiden, kommen für den Eingriff nicht in Frage. Auch gegen Sprach- oder Haltungsstörungen ist das Verfahren machtlos. Bei jenen Menschen, die von der Therapie profitieren können, stehen Ärzte dagegen vor der Frage, ob man den Eingriff nicht früher vornehmen sollte als bislang üblich. Denn wenn die Medikamente ausgereizt sind, haben sich viele Patienten schon aus der Familie, dem Beruf und dem Freundeskreis zurückgezogen. Ob ein zeitigeres Eingreifen bei der Hirnstimulation – ebenso wie bei der medikamentösen Therapie – die Lebensqualität der Menschen steigern kann, prüft derzeit eine deutsch-französische Studie. Deren Ergebnisse sollen in drei bis vier Jahren vorliegen.

Helmut Dubiel: Tief im Hirn, Goldmann Verlag, tb, br, 160 Seiten, 7,95 Euro.

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