Spiel nicht mit den Fabrikantenkindern

GEW-Gewerkschaftstag: Grundsatzdebatten über Grundwidersprüche und eine ausbleibende Revolte

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum 26. Gewerkschaftstag der GEW in Nürnberg war kein Vertreter des Unternehmens Bertelsmann eingeladen, dennoch war der Konzern omnipräsent. An der Person der nur mit knapper Mehrheit wiedergewählten stellvertretenden Vorsitzenden Marianne Demmer entzündete sich eine teils heftig geführte Debatte über die Grenzen gewerkschaftlicher Zusammenarbeit mit der für wirtschaftsliberale Positionen bekannten Bertelsmann-Stiftung. Für nicht wenige ist allein das Reden mit dem Bertelsmann-Club ein Tabubruch.

»Spiel nicht mit den Schmuddelkindern« hatte Franz-Josef Degenhardt 1965 getextet. In dem Bänkellied wird die Haltung einer auf gesellschaftlichen Aufstieg orientierten Schicht kritisiert, die jegliche Erinnerung an ihre eigene Herkunft tunlichst tilgen will. Es wird eine Art Kontaktsperre gegenüber denen verhängt, die den Aufstieg nicht geschafft haben. Dem Nachwuchs wir daher empfohlen: »Sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt, mach's wie deine Brüder«.

Doch die Oberstadt ist kein wirklich guter Ort für ehemalige Arbeiterkinder. Hier werden sie aufs perfekte Funktionieren gedrillt, »müssen brüllen, dass man Freundschaft hält«. Das Ende des Lieds verweist auf die Vergeblichkeit einer Überanpassung: Das Arbeiterkind, das so gern mit »Schmuddelkindern« spielte, passt sich irgendwann an, doch scheitert es als Erwachsener letztlich und landet wieder in der Gosse. Degenhardt hätte sein Lied also warnend auch mit »Spiel nicht mit den Fabrikantenkindern« überschreiben können.

Die Fabrikanten heutiger Zeit sitzen in den Vorständen der großen Konzerne. wie zum Beispiel dem Unternehmen Bertelsmann. Dessen Stiftung ist in den zurückliegenden Jahren so etwas wie der Lieblingsfeind vieler linker Bildungspolitiker und Gewerkschafter geworden. Die Stiftung mischt im Bildungssektor fast überall mit, berät Regierungen und Schulen und liefert Konzepte zum Umbau des Bildungssystems, die auf eine größere Autonomie von Bildungseinrichtungen, aber auch auf mehr Privatisierung des Bildungssystems hinauslaufen, u.a. setzt sich die 1977 vom Unternehmensgründer Reinhard Mohr gegründete Stiftung für Studiengebühren ein.

Andererseits legt die Arbeit der Stiftung aber immer wieder auch den Finger in die offene Wunde des deutschen Schul- und Studiensystems: die hohe Abhängigkeit des individuellen Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft. Mitarbeiter der Stiftung haben sich daher des Öfteren für eine Gemeinschaftsschule stark gemacht. Sie werde deshalb auch weiterhin mit der Stiftung zusammenarbeiten, wenn dies dem Ziel nützt, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen, erklärte gestern die Schulexpertin der GEW, Marianne Demmer, auch wenn sie ansonsten viel Kritik am Gebaren des Konzerns und seiner Stiftung habe. Ähnlich äußerte sich Norbert Hocke, im GEW-Vorstand für Jugendhilfe und Sozialarbeit zuständig.

Was so selbstverständlich klingt, wurde den beiden gestern fast zum Verhängnis. Die Delegierten des Gewerkschaftstages straften sie mit äußerst geringen Wiederwahlergebnissen ab. Hocke erhielt nur 65,7 Prozent der Delegiertenstimmen, Demmer, die wie alle anderen Vorstandsmitglieder auch keine Gegenkandidaten hatte, musste sich gar mit 53,5 Prozent zufriedengeben.

Schon die Kandidatenbefragung war ein Spießrutenlauf. Demmer und Hocke mussten sich ob ihrer Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung massiver Kritik stellen. Damit, so ein junger Delegierter, hätten sie Gewerkschaftspfade verlassen. Andere forderten von Vorstandsmitgliedern einen prinzipiellen Verzicht auf jegliche Zusammenarbeit mit den Bertelsmännern.

Demmer war u.a. Mitglied einer Arbeitsgruppe der Stiftung zur Verleihung der Carl-Bertelsmann-Preises, Hocke Sprecher des »Bundesforums Familie«, eines Zusammenschlusses von über 100 familienpolitisch arbeitenden Organisationen, zu dem auch die Bertelsmann-Stiftung gehört. Mit Blick auf die Bertelsmann-Stiftung hatte Demmer schon vor dem Gewerkschaftstag erklärt: »Ich betrachte manche Aktivität der Stiftung und vor allem die des Konzerns sehr kritisch. Das gilt jedoch nicht für den Schulbereich und die frühkindliche Bildung. Hier sehe ich viel Übereinstimmung mit den Forderungen und Überzeugungen der GEW.« Vor allem für viele junge Delegierten war das schon der Degenhardtsche Tabubruch. »Aus Rache ist er reich geworden. In der Oberstadt hat er sich ein Haus gebaut, nahm jeden Tag ein Bad. Roch, wie bessre Leute riechen.«

Zu Beginn ihrer Rede hatte Marianne Demmer noch an die wilden Zeiten der 68er-Revolte erinnert, als sie und andere ihrer Generation »die alten Vorstände abwählten«, dann aber feststellen mussten, dass man dann auch Verantwortung und deren Arbeit übernehmen muss. Zu so viel '68 reichte es gestern allerdings nicht. Die Revolte blieb aus.

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