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Ende des großen Kribbelns

Fußball: Jürgen Klinsmann nach 302 Tagen beim FC Bayern entlassen Meistertrainer Jupp Heynckes übernimmt in München bis Saisonende

  • Christian Heinig
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Uli Hoeneß auf Energie Cottbus zu sprechen kam, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Diese tollen Cottbuser«, schwärmte der Manager des FC Bayern.

Mit ihrem 2:0-Sieg am Sonntag über den VfL Wolfsburg, der so die Chance verspielte, sich für den Meisterschaftsendspurt in der Fußball-Bundesliga auf fünf Punkte von der Konkurrenz abzusetzen, konnte schließlich niemand rechnen. Vielleicht, so unkte Hoeneß, habe sich Jürgen Klinsmann in diesem Moment »wieder etwas sicherer gefühlt« auf seinem Trainerposten bei den Bayern.

Wenn dies tatsächlich der Fall gewesen sein sollte, so ist seit gestern klar, dann war Klinsmann ein großer Irrtum unterlaufen. Am Montag bekam der 44-Jährige seine Entlassungspapiere von der Bayern-Vorstandsriege. Das große »Kribbeln«, von dem Klinsmann bei seiner Amtsübernahme im vergangenen Sommer voller Vorfreude auf seine Arbeit in München sprach, ist damit beendet. Für ihn übernimmt bis Saisonende Jupp Heynckes die Mannschaft, ein »guter Freund«, wie Hoeneß ihn nennt. Der Meistertrainer von 1989 und 1990 wird von Hermann Gerland unterstützt, dem Trainer der Drittliga-Mannschaft des Rekordmeisters.

Bereits am Sonntag hatte Bayerns Führungsriege um Hoeneß, Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Geschäftsführer Karl Hopfner bei einer Krisensitzung die Entscheidung über die Entlassung des einstigen »Wunschtrainers« gefällt, der noch einen Vertrag bis Juni 2010 hatte. Am Teletext verfolgten sie die Partie der Wolfsburger in Cottbus. Als die 0:2-Niederlage des VfL besiegelt war, so Hoeneß gestern auf der Pressekonferenz, habe für ihn festgestanden: »Jetzt erst recht.« Denn er glaube noch an die Wende und daran, »mit neuem Schwung doch noch das Unglaubliche zu schaffen: die Meisterschaft«. Der Rückstand auf Wolfsburg beträgt fünf Spieltage vor Schluss weiterhin drei Zähler.

Nur 302 Tage war Jürgen Klinsmann im Amt. Noch am Sonnabend, nach der 0:1-Heimniederlage gegen Schalke, blieb er sich in seinem Poweroptimismus treu: »Ich glaube nicht, dass ich mir Sorgen um meine Position machen muss. Ich bin ein Kämpfer und mache das Ding weiter.« Die Bayern-Bosse sahen das anders. Zu viele »dieser wichtigen Spiele« habe die Mannschaft zuletzt verloren, so Hoeneß, deshalb sei der Schritt unausweichlich geworden, »aus Sorge um den Verein und das Mindestziel«. Das heißt Platz zwei und Champions League.

Es war 9.23 Uhr, als Klinsmann gestern – die Spieler hatten trainingsfrei – mit seinem Geländewagen an der Säbener Straße vorfuhr. Da ahnte er wohl noch nichts von dem, was ihn im Büro von Rummenigge erwarten sollte. Knapp zwei Stunden später brauste er fluchtartig davon. »Sehr enttäuscht« sei er über den Rauswurf, teilte Klinsmann anschließend in einer schriftlichen Stellungnahme mit.

Die Trennung von Klinsmann samt Trainerteam soll die Münchner knapp zehn Millionen Euro kosten. Ob es restlos verlorenes Geld ist, werden die kommenden vier Wochen zeigen.

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