nd-aktuell.de / 30.04.2009 / Kultur / Seite 13

Kein Spaziergang

Der Kampf um die KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Hans Canjé

Mit einem Zeitzeugengespräch werden am 2. Mai die diesjährigen Veranstaltungen zum 64. Jahrestag der Befeiung des einstigen Konzentrationslagers Neuengamme eingeleitet. Höhepunkt ist am 3. Mai eine Gedenkveranstaltung am Mahnmal der KZ-Gedenkstätte, in deren Verlauf Überlebende und Hinterbliebene ehemaliger Häftlinge Gedenk-reden halten werden.

Über 100 000 Menschen aus fast allen europäischen Ländern waren von Dezember 1938 bis Mai 1945 im KZ Neuengamme, 30 Kilometer von Hamburgs Innenstadt entfernt, und seinen 87 Nebenlagern eingesperrt. Nahezu die Hälfte starb infolge des Terrors der SS, bei Vergasungen, durch Mord im Krankenrevier oder bei der mörderischen Fron u. a. in den Hamburger Großbetrieben. Wäre es allein nach dem Willen der Hamburger Behörden gegangen, dann erinnerte dort, wo sich einst das Lager befand, außer einem Gedenkstein kaum etwas an das Morden und Sterben.

Auf dem einstigen Lagergelände verkündeten bis ins neue Millennium hinein zwei Gefängnisbauten, wie man sich nach 1945 von diesem »Schandmal der Vergangenheit«, das wie »ein Fluch auf Hamburgs Gewissen, seiner Ehre und seinem Ruf« lastet, »durch eine vorbildliche Anstalt der Menschlichkeit und des modernen Strafvollzugs von Weltruf« befreien wollte. So lautete jedenfalls die Begründung, als auf dem Gelände, das die britischen Behörden zeitweilig als Internierungslager für SS- und NS-Schergen genutzt hatten, 1948 das erste Gefängnis errichtet wurde; 1969 kam ein zweites hinzu.

Es dauerte über sechs Dezennien, bis Neuengamme zu dem wurde, was es heute ist: Eine würdige Gedenkstätte, ein Lernort für heute. Fritz Bringmann, einst selbst Insasse von Neuengamme, fasst diesen langen Weg in die Worte: »Das war ja kein Spaziergang im Sommer.« Die am 5. Juni 1948 gegründete »Arbeitsgemeinschaft Neuengamme« (AGN) wählte dieses Fazit zum Titel für ihre »Geschichte eines Überlebensverbandes«. Detailliert zeichnen die Autoren den Weg der Entstehung und das Wirken der AGN als Interessenvertretung ehemaliger Häftlinge in Deutschland. Das geschah in enger Zusammenarbeit mit der »Amicale Internationale KZ Neuengamme« (AIN), deren Mitglied die Vereinigung seit 1958 ist.

In Erinnerung gerufen werden die Prozesse gegen die Wachmannschaften des KZ, die »niederschmetternden Bemühungen« um deren gerechte Bestrafung und deren beschämenden Ausgang. Geschildert wird, wie die Behörden internationalen Häftlingsgruppen den Zugang zum Ort ihres Leidens verweigerten, welcher Bemühungen es bedurfte, bis 1952 endlich ein kleines Denkmal und 1953 eine Gedenksäule errichtet werden konnten. 1960 verweigerte der Senat der AIN anlässlich des 15. Jahrestages der Befreiung des Lagers einen Gottesdienst auf dem Appellplatz und eine Kranzniederlegung am Ort des ehemaligen Krematoriums. Erst nach anhaltendem Druck der internationalen Öffentlichkeit wurde das 50 Hektar große Gelände im Jahre 2003 schließlich von den letzten Resten der Justizvollzugsanstalten geräumt und mitsamt den 15 noch existierenden ehemaligen KZ-Gebäuden den Häftlingen symbolisch übergeben. So war der Weg endgültig frei für die Neugestaltung der Gedenkstätte und deren Übergabe an die Öffentlichkeit am 5. Mai 2005 – 60 Jahre nach der Befreiung.

Ulrike Jensen, Präsidentin der AGN und Generalsekretärin der Internationalen Lagergemeinschaft, verweist im Vorwort der eindrucksvollen Chronik auf die jahrelange Ausgrenzung, ja Verteufelung der AGN durch den Hamburger Senat, dem »mit jahrzehntelanger Hartnäckigkeit und Konsequenz die Errichtung einer würdigen Gedenkstätte ... Stück für Stück abgerungen« wurde. Das war alles in allem, wie Kultursenator Wolfgang Tarnowski (SPD) sagte, »kein Ruhmesblatt für unsere Stadt«.

Michael Grill/Sabine Homann-Enge: »... das war kein Spaziergang im Sommer.« Die Geschichte eines Überlebendenverbandes. Hg. v. der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme e. V. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2009. 220 S., br., 12 EUR.