nd-aktuell.de / 02.05.2009 / Politik / Seite 3

Kuscheln in unruhigen Zeiten

Gewerkschaften registrierten auf Kundgebungen mehr Teilnehmer als gewohnt, diese aber erwarteten nicht allzu viel

Andreas Holling, Uwe Kalbe, Martin Sommer und Tobias Riegel
Der DGB ist zufrieden. An den diesjährigen Mai-Veranstaltungen nahmen durchschnittlich mehr Menschen teil als noch im letzten Jahr. Von einer Aufbruchstimmung für die Gewerkschaften im Zeichen der Krise kann man trotzdem nicht sprechen.
Die Wut wächst langsam und vereinzelt. ND-
Die Wut wächst langsam und vereinzelt. ND-

Man könne »sehr wohl... auch die ganzen überflüssigen und auf Schürung des Klassenhasses berechneten Demonstrationen der Maifeier zum alten Plunder werfen«, schrieb die »Deutsche Arbeitgeber-Zeitung« im Jahr 1915 frohlockend. Da war gerade die II. Internationale zusammengebrochen. Doch erst seit den letzten Jahren scheint sich der Wunsch der deutschen Arbeitgeber von damals, der wohl nicht sehr weit entfernt ist von dem ihrer Nachfolger heute, erfüllt zu haben. Nur jeder fünfte Deutsche (19 Prozent) betrachtet den 1. Mai als Tag der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, erfragte Forsa. Selbst bei Gewerkschaftern tut das nicht einmal jeder zweite (42 Prozent). Dafür sehen weit über drei Viertel der Deutschen den 1. Mai als willkommenen Tag zur Erholung mit Familie und Freunden – 74 Prozent.

Diese Verhältnisse spiegelte auch der 1. Mai 2009 wider. Wenngleich die Gewerkschaften am Freitag fast überall bei den Mai-Veranstaltungen steigende Teilnehmerzahlen registrierten. Von krisenbedingtem Unfrieden, für den die Mai-Kundgebungen zumindest Seismograf sein müssten, war wenig zu spüren.

Sommer: Guter Job von Politik und Gewerkschaften

Bunt geschmückt präsentieren sich die Gewerkschaften in der Bremer Innenstadt – hier findet die Hauptkundgebung statt. Die Sonne scheint vom Himmel, als Michael Sommer die Bühne im Schatten des altehrwürdigen Doms betritt. »Arbeit für alle bei fairem Lohn!«, ist Sommers achtseitige Rede überschrieben. Kämpferisch tritt der DGB-Chef auf.

Wie nicht anders zu erwarten, bestimmt die aktuelle Wirtschaftskrise auch den Auftritt des Gewerkschaftsvorsitzenden. Stichworte wie »skrupellose Kasino-Kapitalisten«, »Finanzhaie« und »gegelte Boni-Jäger mit Jachten und eigenen Inseln« garantieren den Applaus der rund 7000 Zuhörer.

Einige Reden später macht sich in den Zelten am Domshof Ernüchterung breit. Statt konkreter Antworten auf die viel beschworene »Krise« gibt es vor allem Allgemeinplätze zu hören. Sommers Rede sei »gut« gewesen, resümiert Manfred Siebert, Ortsgruppen-Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE). Doch ganz zufrieden ist auch der ehemalige Betriebsratsvorsitzende von Kaffee Hag nicht. Es gebe aber offenbar keine konkrete Antwort auf die Probleme. Sommer habe nur angedeutet, was man machen könne, viele Arbeitnehmer interessiere das kaum. Die nähmen lieber Kurzarbeitergeld in Anspruch, als ihren Job zu verlieren. »Sie haben Angst vor Hartz IV«, so Siebert.

Man selbst habe sich erfolgreich an der Lösung der Krise beteiligt, meint Sommer. »Bislang haben Politik und Gewerkschaften einen ganz guten Job gemacht«, sagt er mit Hinweis auf die Ausweitung von Kurzarbeit, Abwrackprämie und Konjunkturprogramme. Ein Kompliment, das nicht überall geteilt wird. »Schmusekurs«, kritisiert Klaus Poppe, Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Mit seiner Trommel ist er zur Mai-Kundgebung gekommen. »Den sozialen Frieden gibt es schon längst nicht mehr.« Sommer solle sich mit seinen Forderungen »nicht so weit aus dem Fenster lehnen«. Schließlich sei die Krise auch innerhalb der Gewerkschaft zu spüren. Etwa bei den Mitgliedsbeiträgen.

Noch vor Tagen hatte es aus Sommers Mund fast ein bisschen wie eine Drohung geklungen: Er könne soziale Unruhen auch in Deutschland nicht mehr ausschließen, sollte es zu Massenentlassungen kommen – solche würden auch die Gewerkschaften als Kampfansage betrachten. Doch deutlich ist aus den Worten führender Gewerkschafter in diesen Tagen die Furcht vor einer solchen Entwicklung abzulesen. In Sommers Rede kommt das Stichwort nicht vor.

In Saarbrücken sind rund 4000 Menschen zur Demo und Kundgebung gekommen. Das sind deutlich mehr als im letzten Jahr, damals sprach die Polizei von 2500 Teilnehmern. Unter den Demonstrierenden wieder jede Menge politische Prominenz, auch LINKE-Vorsitzender Oskar Lafontaine.

Während die erste Hälfte des Demonstrationszugs zu Samba- und Jazz-Klängen durch die Innenstadt zieht, ruft der IG-Metall-Block weiter hinten zum Protest auf: »Weil die Rente mit 67 das niedrigste Niveau erreicht hat, das wir in Deutschland haben«, sollen sich die Demonstranten doch bitteschön kurz auf die Straße setzen. Auch junge Menschen sitzen auf Getränkekisten. Sie haben Schilder um den Hals: »Ausbildungskosten: 4000 Euro« oder »Ich bezahle 1000 Euro Studiengebühren – wer finanziert mich?«. Ein IG-Metaller lachend: »Wer deine Studiengebühren zahlen soll? Deine Alten daheim!«. Seine Gewerkschaftskollegen skandieren »Hoch die internationale Solidarität!«.

Nach dem Kapitalismus ist vor dem Kapitalismus

Hauptredner ist der Bundesvorsitzende der IG Metall, Berthold Huber. Doch während er kämpferisch gegen den »Kasino-Kapitalismus« wettert und beklagt, dass »diese Leute jahrelang Gewinne privatisiert« haben und jetzt »die Verluste sozialisieren wollen« sind die meisten Teilnehmer einfach in Volksfeststimmung. Sie essen Rostbratwurst, trinken Bier und nur sehr wenige – nur die, die ganz nah an der Bühne stehen – hören Huber überhaupt zu.

Ein Mann, der gerade lustvoll in sein Wurstbrötchen beißt, den Rücken zu Huber gedreht, meint nur: »Kein Kommentar.« Ein anderer, neben ihm, hat sich ein Schild um den Hals gehängt, auf dem steht: »Nach dem Kapitalismus ist vor dem Kapitalismus.« Er ist zum ersten Mal seit langem wieder bei einer Mai-Demo. Die Krise, ja, die hat ihn dazu gebracht. Aber auch er hört Huber kaum zu, er sei »nicht so politisch«. Und in seinem Betrieb? Da wird »über so was« sowieso nicht geredet.

An einem Stand trinken drei Männer in roter IG-Metall-Kluft ihr Bier. Sie sind sich einig: »Was die da in Frankreich zur Zeit machen« – das Aus- oder gar Einsperren von Firmenchefs also – »das ist auch keine Lösung.«

Erst kommt das Fressen ...

»Auch bei uns kommt zuerst das Fressen«, wird die Gruppe von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bei der Berliner 1.Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am Brandenburger Tor empfangen. »Und dann kommt die Moral«, schallt es den Vertretern der Lehrergewerkschaft GEW die Antwort von der Bühne entgegen. »Schließlich wollen die da oben uns alles wegnehmen, fordern immer nur von den Beschäftigten Verzicht.« Den wollen die laut DGB über 20 000 Demonstranten am Freitag in Berlin aber nicht üben und machen sich in schönster Volksfestatmosphäre über die angebotenen Würste und Brathähnchen her.

Aber auch kämpferische Töne werden laut, und die Reaktionen zeigen, dass die durch Finanz- und Wirtschaftskrise alarmierten Menschen Klartext erwarten. Der Handelskette EDEKA wird indirekt mit Boykott und anderen Maßnahmen gedroht, wenn sie sich wie geplant von den »Reichelt«- Läden trennen sollte. Ein Vertreter der IG Bau verlangt vehement die Angleichung der Ost-Löhne an West-Niveau – »und nicht umgekehrt, wie die Herrschaften es vorhaben. Für die Forderung gehen wir bis zum Letzten!« Hauptredner Dieter Scholz, DGB-Vorsitzender, Bezirk Berlin-Brandenburg, regelt dann den Aggressionspegel schnell wieder auf gewerkschaftliche Verhältnisse herunter. In kämpferischem Duktus fordert er ein drittes Konjunkturpaket und ein weiteres Schutzschild – »aber dieses mal für die Arbeitnehmer«. »Die Mächtigen stehen vor den Trümmern ihres Handelns«, sagt er. »Und nicht nur das. Wir alle sind von diesen Trümmern umgeben.«

Losungen wie »Politischen Streik erkämpfen« oder »Kapitalisten enteignen« finden sich abseits der DGB-Kundgebungen. Immerhin äußerten sich auch die Vertreter eines »Klassenkämpferischen Blocks« mit rund 1000 Teilnehmern in Berlin »äußerst zufrieden« mit ihrer Demo. Die linke Mayday-Parade mit rund 5000 Teilnehmern zog bunt und lärmend durch die Berliner Innenstadt – auf einer behördlich erzwungenen Route, die die Friedrichstraße aussparte. Gegen das Bundesfinanzministerium flogen Farbeier.