Gebremste Hilfe mit arglistigem Ziel

Anhörung zum Asylbewerberleistungsgesetz im Bundestag / Antrag der Grünen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Montag bot der Bundestag in einer Anhörung Fachleuten und Verbänden Gelegenheit, sich zu einem Vorschlag der Grünen zu äußern. Dieser fordert die Abschaffung eines umstrittenen Gesetzes.

Was am Montag im Bundestag geschah, kann man mit der ärztlichen Untersuchung eines seit 16 Jahren schwerkranken Patienten vergleichen. Die Diagnose ist immer die selbe: Ja, der Patient ist schwer krank. Zu einer Therapie ist es bisher dennoch nicht gekommen. Denn das Leiden ist gewollt. Der sperrige Name des zur Bewertung aufgerufenen Gesetzes muss für die von ihm Betroffenen noch als Beschönigung gelten: Asylbewerberleistungsgesetz.

Darin sind Höhe und Form der Mittel geregelt, die Flüchtlingen und geduldeten Ausländern als Hilfen zum Lebensunterhalt zugebilligt werden. Im Zuge des sogenannten Asylkompromisses war das Gesetz 1993 eigens geschaffen worden, um Flüchtlingen nicht länger die gleiche Sozialhilfe zukommen zu lassen, wie sie Deutschen zusteht. Erklärter Grund: Jeder Anreiz, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen, sollte getilgt werden. So wurde der Sozialhilfesatz, der das staatlich anerkannte Existenzminimum repräsentiert, für den betroffenen Personenkreis gesenkt. Inzwischen beträgt er um die 65 Prozent des Sozialhilfesatzes. Für Organisationen wie Pro Asyl, die darauf hinweisen, dass die Höhe des Betrages seit 16 Jahren trotz Preisentwicklungen nicht geändert wurde, ist dies allein Grund genug, die Abschaffung des Gesetzes zu fordern.

Das ist auch das Anliegen der Grünen, die als Kern ihres Antrages den Satz aufgeschrieben haben: »Das Asylbewerberleistungsgesetz wird aufgehoben«. Zu einer solchen Entscheidung gibt es nach Auffassung vieler am Montag angehörter Kritiker keine Alternative. Nach Meinung etwa der Wohlfahrtsverbände verstößt das Gesetz »nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern auch gegen geltendes Europa- und Völkerrecht«. Gerhard Classen vom Berliner Flüchtlingsrat beschreibt seinen Sinn mit den Worten, der Gesetzgeber erzeuge künstlich eine Notlage. Diese zeigt sich besonders augenscheinlich in der Höhe der zugemessenen materiellen Hilfe, die vielerorts zudem aus Sachmitteln (Essenspakete) besteht. Dies veranlasst Betroffene dann, die verordnete Nahrung durch selbst gekaufte zu ergänzen – wofür ihr Taschengeld von 1,34 pro Tag reichen muss.

Von einem »Sondergesetz« spricht nicht nur seit Jahren Pro Asyl, sondern sprach am Montag auch die Vertreterin der Deutschen Bischofskonferenz. Das Gesetz habe keine Existenzberechtigung. Gründe für eine solch strikte Ablehnung sind außer der willkürlichen Festsetzung der Sozialhilfe »dritter Klasse« auch die Unterbringung in Massenunterkünften oder die medizinische Versorgung von Flüchtlingen, über die das Diakonische Werk Potsdam von »skandalösen Zuständen« spricht.

Die Linken hatte sachliche Gründe zur Ablehnung des Gesetzes in den Antworten auf eine Anfrage an die Bundesregierung in Hülle und Fülle identifiziert und schon vor geraumer Zeit zur Grundlage eines Entschließungsantrages gemacht. Außer bei den Grünen fand die Fraktion jedoch keine Zustimmung, wenn man von verbalen Verrenkungen der SPD absieht. Und den Grünen wird mit ihrem eigenen Entwurf jetzt das Gleiche bevorstehen, darf man vermuten.

Denn das Gesetz ist bei der Mehrheit des Bundestages im Laufe der Jahre nicht etwa in Verruf geraten, sondern im Gegenteil immer weiter verschärft worden. Galt es zunächst für Asylbewerber, erstreckt sich sein Geltungsbereich heute auf Asylbewerber, Geduldete und Menschen mit bestimmten Aufenthaltstitel. War ihm der Einzelne zuerst zwölf Monate lang unterworfen, gilt dies heute für vier Jahre. Dennoch fand das Gesetz am Montag wieder Fürsprecher auch außerhalb des Hohen Hauses. So sprach die Abgesandte der Kommunalen Spitzenverbände von Massenunterkünften, in die ganze Familien gepfercht werden, als einer Gelegenheit, die interkulturellen Kompetenzen zu stärken. Mit dieser Logik dient die Verweigerung ärztlicher Hilfe wohl als Hilfe zur Stärkung des Immunsystems.

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