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Mord aus »gekränkter Ehre«

44 Menschen sterben bei Überfall auf Verlobungsfeier in Türkei

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 2 Min.

Das Massaker an 44 Gästen einer Verlobungsfeier in einem Dorf im Südosten des Landes hat in der Türkei die Diskussion um traditionelle Ehrenmorde erneut belebt. Obwohl die Hintergründe noch nicht ganz geklärt sind, deuten sowohl die Umstände der Tat als auch Erklärungen von offizieller Seite darauf hin, dass es ein Verbrechen aus gekränkter Ehre war.

Die Tat ereignete sich im kurdischen Dorf Bilge, das nur 32 Häuser und etwa 250 Einwohner hat. Zum großen Teil tragen alle den Nachnamen Celebi. Auf der Feier verlobte sich Sevgi Celebi, die Tochter des ehemaligen Dorfvorstehers, mit Habip Ari. Es soll, so wird in der türkischen Presse kolportiert, einen zweiten Anwärter gegeben haben, dessen Gesuch aber abgelehnt wurde.

Nach einer religiösen Zeremonie

und einem Essen im Haus des Dorfvorstehers zogen sich Männer und Frauen zum Gebet in getrennte Räume zurück. In diesem Moment tauchten vier maskierte Männer mit automatischen Waffen auf und ermordeten alle Anwesenden. Unter den Opfern waren neben Braut und Bräutigam auch sechs Kinder und 16 Frauen.

Die Täter sollen nach dem Massaker ihre Opfer noch einzeln kontrolliert haben, um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich tot sind. Nur ein dreijähriges Kind, ein sechzehnjähriges Mädchen und ein Mann überlebten verwundet das Massaker.

Der türkische Innenminister Besir Atalay schloss gestern aus, dass es sich um einen Überfall der PKK gehandelt haben könnte. Demnach sollen acht Männer, die alle selbst im Dorf wohnen, festgenommen worden sein, weil sie im Verdacht stehen, sich an dem Massaker beteiligt zu haben. Die Spuren deuteten dem Minister zufolge auf eine »Feindschaft zwischen verwandten Familien« als Motiv für das Blutbad.

Im Osten der Türkei ist noch immer ein Ehrprinzip verbreitet, das die Mitglieder zum Mord an eigenen Familienmitgliedern, meistens Frauen oder an Mitgliedern eines verfeindeten Clans veranlasst. In einer Blitzumfrage des Nachrichtensenders CNN Türk zu dem Massaker meinten gestern 85 Prozent der Teilnehmer, dass der Staat nicht genügend gegen diese Taten unternehme.

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