Der Nüchterne

Jürgen Leinemann / Der Journalist des »Spiegel« erhält den Henri-Nannen-Preis

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Preisträger, merkt der Verlag »Gruner + Jahr« an, werde für seine »präzisen Psychogramme der deutschen Politiker-Elite« mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet. Diese Lobpreisung sagt bereits einiges über Jürgen Leinemann aus, der seine Karriere als Korrespondent in Washington begann, zunächst für die Nachrichtenagentur dpa, dann für den »Spiegel«. Besser kann es der Preisgekrönte aber selbst sagen. »Leute in der Höhenlage von Gerhard Schröder können sich nicht mehr vorstellen, dass in der Welt irgendetwas geschieht, was nichts mit ihnen zu tun hat. Wenn es irgendwo donnert, glauben sie, sie hätten geblitzt.« Wobei der Alt-Kanzler für Leinemann, der am Sonntag 72 Jahre alt wird, eine austauschbare Person ist. Leinemann hat im Laufe seines Journalistenlebens alle Größen des Politgeschäfts porträtiert – auch die, die sich für solche hielten.

Dass Leinemann den Preis für sein Lebenswerk erhält, klingt nach Abschied – nach Abschied von einem Journalismus, der sich zwar selbst für sehr wichtig nimmt, dabei aber immer auch eine gewisse Distanz zum Beschriebenen hält. Diese Nüchternheit wurde für Leinemann zum Arbeitsprinzip nachdem er Mitte der 1970er Jahre die Berufskrankheit der Journalisten besiegt hatte – die Alkoholsucht. Vor vier Jahren warnte er auf einer Journalistenkonferenz vor den »coolen Smarties aus der Spaßkultur-Branche des Feuilletons und der Frohsinns-Wellen«, die sich durch die räumliche Nähe zur politischen Macht in Berlin schon in deren Zentrum wähnen und trunken fantasieren, sie könnten politische Entscheidungen herbeischreiben. Dass in der Öffentlichkeit der Journalistenstand in den letzten Jahren an Reputation eingebüßt hat, ist auch diesem Realitätsverlust geschuldet und nicht nur dem Schmierengeschäft der Springer-Presse.

Doch auch Jürgen Leinemann sitzt im Glashaus. Bis 2001 leitete er das Ressort Deutsche Politik beim »Spiegel«, danach arbeitete er als Autor im Berliner Büro des Magazins. Die »Zeit« fragte ihn einmal, warum er sich das antue, immer wieder über einen dieser Egomanen zu schreiben. »Vielleicht«, antworte der Interviewte, »bin ich auch so.« Zur Erkenntnis gelangt man eben nur durch Nüchternheit.

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