Gestalten statt Hinhalten!

  • Christa Luft
  • Lesedauer: 3 Min.
»Sollen Hungerlöhner und Armutsrentner mit Milliardären solidarisch sein?«
»Sollen Hungerlöhner und Armutsrentner mit Milliardären solidarisch sein?«

Der Bund erwartet für das laufende Jahr ein Minus von sechs Prozent der Wirtschaftsleistung. Das wäre der stärkste Absturz seit dem Zweiten Weltkrieg. Hohe Ausfälle in den öffentlichen und Sozialkassen sind die Folge. Die Neuverschuldung wird 2009 doppelt so hoch ausfallen wie geplant. In der Krankenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit zeichnet sich ein Fehlbetrag von je drei Milliarden Euro gegenüber der Veranschlagung ab. Die Löcher werden mit zunehmender Arbeitslosigkeit größer. In den Rentenkassen tut sich für 2010 eine Lücke von vier Milliarden Euro auf.

Diese Trends können nicht überraschen. Sie waren bei der Etataufstellung im Herbst 2008 absehbar. Aber da galt »Krise« für die Regierung noch als ein Wort aus der marxistischen Mottenkiste. Jetzt windet sie sich und verspricht das Blaue vom Himmel. Der oberste Kassenwart und SPD-Mann Steinbrück schließt zur Haushaltssanierung eine »generelle Steuererhöhung« nach der Bundestagswahl aus. Dabei haben wir noch die Ansage seiner Partei von 2005 im Ohr, einer Mehrwertsteuererhöhung auf keinen Fall zustimmen zu wollen. Nach der Wahl war das Schall und Rauch.

Sozialminister Scholz schwört, es werde keine Beitragserhöhung bei der Arbeitslosen- und gesetzlichen Rentenversicherung geben. Bei letzterer soll das sogar zehn Jahre gelten. Er will ins Gesetz gießen, dass die Altersbezüge nicht gekürzt werden. Das klingt fürsorglich! Doch sollten die als Wähler umgarnten Ruheständler wissen: Scholz meint nur die nominale, nicht die reale Rente. Auch bedeutet solche »Garantieerklärung« für diejenigen, die wegen Langzeitarbeitslosigkeit oder als Niedriglöhner eine Minimalrente beziehen, dass sich daran nichts bessert. Altersarmut wird zementiert, und die Ost-West-Rentenlücke kommt bei Scholz gar nicht vor. Die überfällige Neujustierung der gesetzlichen Rente durch Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen und Einkommensarten darf nicht vom Tisch sein.

Die Chefin des Gesundheitsressorts wiegelt ebenfalls ab. Sie behauptet ungeachtet vorliegender Erfahrungen, dass der von ihr durchgeboxte Gesundheitsfonds wirke. Es wird der Eindruck vermittelt, niemand müsse draufzahlen. Dabei werden der Bevölkerung nur Beruhigungspillen verabreicht. Deren Verfallsdatum ist der Tag der Bundestagswahl. Danach werden Verteilungskämpfe neu entbrennen und die breiten Schichten zur Kasse gebeten, wenn sie sich nicht wehren.

Anders als bei den Kapitalspritzen für Banken und den Rettungsschirmen für Unternehmen sollen die krisenbedingten Fehlbeträge bei der Arbeitsagentur sowie den Renten- und Gesundheitskassen nicht durch allgemeine Steuergelder oder Staatsschulden, sondern durch vorgestreckte, rückzahlbare Darlehen des Bundes gedeckt werden. Das bedeutet, dass letztlich allein die Beitragszahler, also abhängig Beschäftigte und Pflichtversicherte, dafür aufkommen – entweder durch geringere Leistungen oder durch höhere Beitragssätze.

Das alles ignoriert der um Wiederwahl bemühte Bundespräsident, wenn er verkündet: »Solidarisch werden wir die Krise meistern.« Sollen Hungerlöhner und Armutsrentner mit Milliardären solidarisch sein? Laut jüngster DIW-Studie lag das Nettovermögen deutscher Haushalte 2007 bei 6,6 Billionen Euro. 61,1 Prozent, also gut vier Billionen, entfielen auf das reichste Zehntel. Die pumpen dem Staat Geld und streichen Zinsen als üppige »arbeitslose Einkommen« ein. Solidarisch wäre das Zeichnen zinsloser Staatsanleihen oder eine Vermögensabgabe.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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